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„Einfache Handschrift“ fürs Parteispektakel

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Philharmonisches Großangebot vor Weihnachten im Musikverein: Gleich zwei Taktstockstars im Einsatz. Zubin Mehta und Riccardo Muti. Allerdings, daß sich da auch die Musiker überall wirklich in ihrem Element fühlten, bezweifle ich. Mehtas Konzert etwa trübten so manche Schatten. Der Maestro konzentrierte sich vor allem auf Beethovens „Siebente“, stürzte sich energiegeladen und temperamentvoll in die Partitur. Bis zum Presto des dritten Satzes eine spannende Aufführung; das Spiel der Phüharmoniker brillant und aufgeheizt. Aber muß das Allegrofinale um des Effektes willen wirklich in eine wilde Jagd ausarten? Mußten alle Temporelationen umkippen? Mußte Mehta unbedingt Tänzerisches zum Csardasgeschunkel ausarten lassen?

Da gefiel mir das etwas kühle, klare Spiel der jungen Philharmonikergeiger Erich Binder und Werner Hink in Bachs d-Moll-Konzert für zwei Violinen wesentlich besser. Die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor sang außerdem Bruckners e-Moll-Messe. Allzu eigenwillig, ja leger in den Tempi, steuerte Mehta Chor und Bläserensemble. Details hätte ich darin plastischer gewünscht, Tempozusammenhänge exakter modelliert. ' Mit Chor präsentierten sich die Philharmoniker auch unter Muti, und zwar mit Serge Prokofieffs bombastischer vaterländischer Kantate „Alexander Newski“. Ein Werk, das 1938 als Klangkulisse zu Serge Eisensteins Film (deutsch: „Die Schlacht auf dem Eis“) entstand und dementsprechend einfache, plakative Melodik und Harmonik bevorzugt. Aber die russische Chortradition findet hier eine imponierende Fortsetzung. Und Prokofieff erfüllte damit endlich auch Rußlands • marxistischen Kunsthistorikern den Wunsch nach „einfacher Handschrift“: Konsonanzen stehen für alles Gute, Große, Russische; Dissonanzen, die sogenannten Modernismen, für alles Feindliche (im Füm für das Kreuzritterheer, das die Russen in einer Schlacht auf dem zugefrorenen Pei-pus-See angriff und bei Pskov geschlagen wurde).

Imponierend in dieser Aufführung die „Bulgarische Chorkapelle Svetos-lav Obretenov“ und die Solistin Alexandra Miltscheva; große, gewaltig auftrumpfende Stimmen, die diese Schlacht- und Siegesmusik allerdings auch etwas in Nähe eines Parteitagspektakels rücken, wobei die Philharmoniker Prokofieffs schillernde und gleißende Musik mit ihren pompösen Glockeneffekten brillant auskosteten.

Riccardo Mutis Bravourstück war allerdings die Wiedergabe der „Italienischen Symphonie“ (A-Dur, Nr. 4) von Mendelssohn, deren Elan und tänzerische Eleganz er haargenau trifft. Vivaldis g-Moll-Konzert „La notte“ (Flöte: Herbert Tripp, Cembalo: Martin Haselböck) ist eigentlich ein zu „kleines“, ein klanglich zu sparsames Werk, als daß es in ein „Philharmonisches“ paßte. Dennoch: intensive Streicherfarben, delikater Ausdruck

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