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Erinnerung an eine Rose

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In einem Schloß, irgendwo in Tirol. Ich saß mit meiner alten Freundin beisammen.

Hier stock ich schon.

Doch, den Jahren nach war sie alt, über achtzig. Aber was heißt das schon.

Man mußte sie erzählen hören, um zu spüren, wie jung sie war. Ihren Humor, ihren Witz, ihre Selbstironie erfahren.

Das war bezaubernd.

Wenn sie erzählte, war alles Gegenwart.

„Damals“, sagte sie, „da war ich dreißig. Knapp dreißig. Das war in Wien. Mein Gott, hab ich gern in Wien gelebt. Eine verrückte Stadt. So was von blühender De-cadence. Das ist direkt schon wieder schön. Aber man muß es aushalten können. Viele ertragen Wien nicht. Vor allem die Wiener sind... Aber es gibt überall solche und solche. Und wenn man Glück hat, trifft man die richtigen. Ich habe immer Glück gehabt. Ich hatt's auch nötig. Ich hab bezaubernde Wiener getroffen. Es gibt dort in gewissen Kreisen ein savoir vi vre, wie man's nur in dieT ser Stadt trifft. Allenfalls noch in Paris. Und auf der Straße gibt es Herz und Witz, wie man ihn auch nur in dieser Stadt trifft.“

Sie deutete auf die Rose, die ich ihr mitgebracht hatte. Sie stand in einem Glas auf dem Teetisch.

„So eine hatt' ich am Hut — damals.“ Sie lächelte boshaft.

„Wissen S\ das trug man damals. Große, helle Sommerhüte, unter denen das Gesicht im Schatten blieb. Wer sich damals in die Sonne gelegt hätte, um braun zu werden, den hätte man für verrückt gehalten. Was zählte, war vornehme Blässe. Vielleicht war's gesünder als die heutige Sonnengerberei. Schließlich sehen die Frauen braun-ledern aus wie alte India-ner-Squaws. Aber bitte: chaqu'un ä son goüt.

Ich war also knapp dreißig damals, trug ein enges weißes Kleid mit unten weit fallendem Rock mit vielen Spitzen, weiße Handschuhe, eine passende Handtasche, einen großen weißen Hut, und spazierte durch die Stadt. Das war ungeheuer emanzipiert zu einer Zeit, in der eine Dame nicht ohne Begleitung durch die Stadt ging. Das war mir, zum Entsetzen meiner Familie, schon damals wurscht.

An dem Hut hatte ich eine rote

Rose befestigt. Eine echte. Keine von den künstlichen Blumen oder Kirschen, die damals große Mode waren und heute wieder modern werden.

Ich spazierte also durch die Stadt. Der Himmel war blau, die Sonne schien warm, es war Juli, und ich fand mich sehr schön. Ein Blick — mehrere Blicke - in die Schaufenster der eleganten Geschäfte bestätigten mir das. Die gleichen Blicke bestätigten auch, daß mir ein junger Mann auf den Fersen war. Er folgte meinen Spuren keineswegs errötend, sondern überaus zielstrebig und forsch. Ich ging keineswegs schneller. Neugierig war ich immer. Der junge Mann trug einen sehr hohen weißen Stehkragen im Ausschnitt seines Pepita-Sakkos, eine enge schwarze Hose und einen kreisrunden Strohhut - eine Spur zu elegant, um wirklich elegant zu sein. Es kam wie es kommen mußte, er holte mich ein, pflanzte sich vor mir auf, zog den Strohhut. Er sah mich an, der Mund blieb ihm offen. Und was sagte er dann?

.Jessas', sagte er, ,so an alter Stock tragt a no a Ros'n...'

Die Passanten sind stehengeblieben, so hab ich gelacht — sehen Sie, und Ihnen fällt auch nichts anderes ein.“

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