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Was hatte Vorhof er zwischen 24. November und 24. Dezember getan? Wie immer: sich mit langem, unsichtbarem Gestänge gestelzter Wörter die Leute vom Leib gehalten - Polizisten, Journalisten, Gremialfunktionäre, Betriebsräte, das ganze Geschiebe der Untergebenen , die seine Ernennung vom Vize zum Präsidenten voraussahen. Doch die ihnen unbekannte gedruckte und geritzte Drohung VORHOFER ALS NÄCHSTER kündigte vielmehr seine Ermordung an...

Mit gespreizten Halbsätzen die Leute vom Leib gehalten, und vielleicht doch irgendeine tief hinter aller Betulichkeit lauernde, schürfende, endgültige Wahrheit von der eigenen Seele... Auch ihm sollte im Feuerstrahl der Kiefer weggefegt werden - eine klaffende, freigeborstene, blutspritzende Nasenhöhle dort, wo sich fünfunddreißig Dienstjahre lang seine siegreichen, alle anderen verdrängenden Halblaute gebildet hatten.

Vorhofer, schlank, kernig, sportlich, scharf geschnittenes Gesicht, heftet seinen Blick stets mit durchdringender Schwere auf jeden Gesprächspartner - der nur schon deswegen sein Bestes gibt, um vor dem scheinbar so Hellsichtigen zu bestehen-, obwohl diese Mimik des fe8chenhochgesteIlten Zuhörers nur gut gekonnte Überherrschungsart ist, hinter der Geistesabwesenheit, innerlich anderweitige Befassung, ja völlige Entspannung sich verbergen. Etliche Jahre hatte Vorhofer sogar einen kantigen schwarzen Backenbart getragen sowie ausgesuchte Trachtenkleidung - bis hin zu Lederbundhosen, was eine besondere Spannung zu blitzenden Augengläsern und demonstrativ ausgesuchter Geschliffenheit bewirkte, wodurch sich inmitten aller so verblüfften Begegnungen seine Vormacht weiter steigerte...

Die grassierende, tiefsitzende Mißachtung aller Menschenl Viel kühler, technisierter, als etwa Verachtung - diese schmeckt nach Leidenschaft -; Mißachtung ab er ist die einer völligen Erschöpfung entstammende, praktische Auslöschung aller anderen von irgendeiner Gefühlsoder Rücksichtszuwendung. Mit einem Minimum an Verständigungsroutine wird der unvermeidliche Umgang instrumentalisiert, von keiner Begegnimg wird auch nur das Mindeste erwartet, die höchste Kommunikationskultur wäre noch die Wohltat eines gewissen Humors an der Grenze zwischen melancholischem Nihilismus und destruktivem Zynismus.

Kaum aber ist das Arbeits- oder Sitzungszimmer verlassen, saugt es jeden Teilnehmer auf seine lähmende Ichsucht zurück.

Der romanische Christus von Gemona, seit zehn Jahren ohne Unterkiefer, hängt nun im stahlbewehrten, zusammengezwungenen, ineinandergefederten, schief bleibenden Bergdom, links hinter dem schrägbödigenEingang. Undenkbar ein wortloser Erlöser? Ein Messias, der nicht redete? Nur Gesten, Blik-ke, Opferungen bis zur letzten hin? Und keine Aussagen, Gleichnisse, wohltätigen Sprachbilder?

In Vorhof ers gekonnt gönnerhaftem Auftritt als Großspender zum 10. Jahrestag des Friauler Erdbebens vom 6. Mai 1976 war jener gräßliche Anblick des im Gesicht verstümmelten Gekreuzigten eingebrochen: unauflösbare Botschaft dieses, uralten, aber frisch verletzten Kruzifixus von Gemona I Vorhof ers eigene erfolgssichemde taktische Stummheit, das hochdotierte professionelle Verschweigen aller Verweise über das bröslige, flächige Alltäglich-Banale hinaus, hinter das Pragmatische und unter das Kalkulatorische zurück, war ihm nach dem Schock jenes Kreuzesanblicks zunehmend zu einem immer wiederkehrenden Selbstvorwurf geworden: sein Versagen, seine Schuld, sein Verbrechen? Seine Karriere ein einziger endloser Sprachtrick, eine sumpfige Redeschlacht, die er als gewiegter Lautloser, Tonloser stets schlangenhaft für sich entschieden hatte?

Und nun war der erschossene Präsident Josef Arlet vor ihm gelegen, den er mit eben dieser Strategie behandelt, ja beherrscht hatte. VORHOFER ALS NÄCHSTER? Zwar waren Bestand und Bewährung der Erz-Blech-Chemie samt ihren 20.000 eigenen und fremden Mitarbeitern von Arlets Geist durchpulst, von seiner überzeugenden Menschenführung getragen, aber Vorhofer war stets berechnend in seinem skeptisch-auftrumpfenden Hintergrund gebheben und hatte sich damit mehr Reputation bei den Kapitalvertretern erworben als der zuweilen für sein Charisma belächelte Präsident.

Trauer, Panik ergriff Vorhofer beim Gedanken an die dunkle Unwissenheit, Verschüttetheit dieses von ihm gezeugten und verleugneten Lebens, dem sich ein solcher Überblick nie erschlösse ohne sein Zutun. Welch ein unschuldiges, hilfloses, unbetreutes, braves, neugieriges kleines Menschlein mag dieser Zehnjährige wohl sein, den er zurückgestoßen hatte, eingekerkert, zugeschüttet in Vaterlosigkeit?

Zumeist bedeutet die Erfahrung der ersten Lebensjahre ein Versprechen, das der Lebensrest kraß bricht 1

Alle Aufmerksamkeit, Wärme, Zärtlichkeit, die ein Kleinkind üblicherweise spürt, lassen zehn Jahre später deutlich nach: dann senkt sich das Dickicht von Leistungsdruck, liebloser Aburteilung, Abschiebung über den einst so unschuldig in diese Welt geworfenen Kleinen. Weitere zehn Jahre später ist aus ihm ein verbildeter, verlogener, grober Erwachsener geworden, von dem fast nichts mehr an das begnadete, lebensfrohe, tüchtige Kind erinnert.

Was er Christa und Erwin schuldig geblieben ist, ist er allen Mitmenschen schuldig geblieben. Es war ihm stets gleichgültig, in welche Verblendungen, Verstrickungen, Handlungsunfähigkeiten, Fehlurteile die Leute versinken mochten -wenn nur er selbst immer Augen und Mund über den trüben Wassern behielt.

Jetzt aber, da sich Lebensverlängerung abzeichnete, ein neues Leben von noch einmal vielleicht zehn Jahrenbis ins Alter von siebzig, jetzt will er endlich Christa und Erwin und allen anderen dienen, falls er, ohne von Kugeln durchsiebt zu werden, diesem Turm entkäme...

Mühsam krümmte Vorhofer sich in die Hocke. Ängstlich betastete er seinen unverläßlichen Leib auf Dichtheit

Vor-Hof werden, immerhin Hof, nicht freie im Sturm hegende, alles Anwesende preisgebende Steppe, Sand- oder Eiswüste. Vorhof zu einer Sicherheit. Ist die Vorsilbe, mit der ein solcher Platz verbunden wird, ein Versprechen, daß es hinter ihm einen endgültigen Hof gibt? Die befriedete Mitte, den Altar, das Paradies, den Himmel? Wieso Vorhofer? Wieso impliziter Rückbezug auf einen nie betretenen Ort? Nie hatte der Kehl berget Ministrant Urban das bis heute unvergessene Bild verstanden, wonach alle Gerechten vor Jesu Zeit, die seine Erlösung also noch nicht schauen könnten, aber dennoch nie unbillig handelten, seiner Ankunft in der Vorhölle harrten. Vor-Hof freilich auch als Inbegriff seines Befindensl Hatte er genug gebüßt? Ist er nun demütig genug? Sollte er jetzt auferweckt werden? Dazu müßte er seine nie geleistete Ordnungsarbeit aufnehmen.

Wie das ganze Leben in einem Vorhof abläuft, ein Vorhof ist, lärmend oder ausgestorben, ein Vorhof auf- und abwärtsführender Todesstiegen, hinkend, hüpfend oder halb gelähmt abgesucht, ausgeschritten, bis an die Stacheldrähte, Mauern, Elektrozäune durchkrochen... doch nicht einen Augenblick lüftet sich der Vorhang zum Inneren, Fraglosen, Deutlichen, Anschaulichen, zur Gewißheit, Entspannung, Entwarnung.

Aus dem Roman „DerSog'der demnächst im Verlag Styria, Graz, erscheint

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