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Für den Frieden zu spät

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Der Verfasser, bereits bekannt durch seine 1964 erschienene Arbeit über die Friedenspolitik der Mittelmächte 1917 bis 1818, greift im vorliegenden Aktenband den Friedensappell Papst Benedikts XV. vom

1. August 1917 auf. Dieser Schritt des Papstes und die Reaktion der Mittelmächte werden an Hand der einschlägigen Akten der beteiligten Mächte und einer Reihe in Privatarchiven gefundener Bestände analysiert. Dabei ergibt sich, daß die Friedensaktion des Papstes teilweise unter dem Druck der gleichzeitigen Versuche der internationalen Sozialdemokratie, Friedensgespräche herbeizuführen, stand. Eine Denkschrift

Victor Naumanns, vom April 1917, an die Münchner Nuntiatur zeigt diesen Gedanken einer Art Gegenaktion der Katholiken und ihres Oberhauptes für den Frieden ebenso, wie eine interessante Äußerung Wilhelms II. vom 29. Mai 1917, der allerdings einen Schritt der Kurie mit der Niederlage Italiens in der zehnten Isonzoschlacht in Verbindung brachte. Entscheidend ist sicherlich die Ernennung von Monsignore Pacelli, des späteren Papstes, im April 1917 zum Apostolischen Nuntius in München, von dem der preußische Gesandte beim Päpstlichen Stuhl am 22. Mai 1917 berichtete: „Er ist ein Mann der Zukunft.“ Tatsächlich hat

Pacelli schon mit der Übernahme seines Amtes in München bei den ersten Gesprächen den Versuch unternommen, direkt mit den deutschen Zentralstellen in Fühlung zu kommen und dabei anfangs Juni 1917 Kaiser Wilhelm selbst in einer Audienz den Gedanken näher gebracht, Friedensinitiativen zu entwickeln. Daß der schwankende Kaiser nur ein Faktor war, erkannte der Nuntius bei seinen vielfachen Kontaktnahmen mit deutschen Regierungsstellen und Abgeordneten sehr bald. Anläßlich eines Besuches in Berlin am 24. und 25. Juli 1917 übergab Pacelli ein Promemoria, dessen wesentlichste Punkte auch in dem päpstlichen Appell zum Frieden angesprochen wurden: Abrüstung, Schiedsgerichtsbarkeit, Rückgabe der deutschen Kolonien, Räumung Belgiens, Regelung der Grenzfragen zwischen Italien und Österreich- Ungarn sowie zwischen Deutschland und Frankreich.

Die Stellungnahme der deutschen Regierung zu der Denkschrift konzentrierte sich sehr bald auf die Hauptfrage Belgien, aber auch auf die Frage der eventuellen Abrüstung, die Schiedsgerichtsbarkeit und nicht zuletzt tauchte als Kernfrage, wenn auch von deutscher Seite nie zugegeben, das Problem Elsaß- Lothringen auf, von dem man mit Recht sagen kann, daß es die Schlüsselfrage jedes Friedensgespräches war — ein Umstand, der ja auch bei den Friedensversuchen Kaiser Karls eine wesentliche Rolle spielte. Zu Belgien hat sich trotz des Drängens von seiten Pacellis die deutsche Regierung nicht bereit erklärt, irgendein Entgegenkommen bezüglich des zukünftigen Schicksals Belgiens zu zeigen. Zur belgischen Frage kam aber noch im Herbst das Drängen des österreichisch-ungarischen Außenministers Graf Czernin, der am 20. September 1917 einem deutschen Besucher mitteilte, daß kein Minister, wenn der Krieg durch die Schuld Deutschlands verlängert würde, den Lauf der Entwicklung zum Bösen in der Donaumonarchie aufhalten könne und in derselben Besprechung wies Czernin auf den „andauernden Kampf zwischen Militär- und Zivilgewalt in Deutschland hin“.

Tatsächlich hatte namentlich unter dem Eindruck der günstigen militärischen Entwicklung im Herbst 1917 die Deutsche Oberste Heeresleitung sowohl in der belgischen Frage als auch bezüglich eines Eingehens auf irgendwelche Verhandlungen ein hartes Nein gesprochen und vor allem Ludendorff in einer Denkschrift vom 4. Oktober 1917 sein totales Kriegszielprogramm im Westen und im Osten entwickelt.

Tragisch muten aus diesen Aktenstücken die vergeblichen Versuche an, direkte Gespräche via Vatikan zwischen Österreich-Ungarn und Italien anzubahnen, wobei die Vorstellung von Kompensationen im Trentino gegen eine eventuelle Abtretung italienischer Kolonien an Österreich-Ungarn auftritt. Ergänzend wirken die Ende 1917 versandenden Bemühungen des Vatikans um eine Friedensvermittlung durch einen deutschen Sonderversuch, auf dem Umweg über den spanischen Gesandten in Brüssel, zu direkten Gesprächen mit England zu kommen.

Als am 28. November 1917 die „Iswestija“ den Text des Londoner Vertrags veröffentlichte, dessen Artikel 15 die Verpflichtung der Entente enthielt, den Heiligen Stuhl daran zu hindern, an diplomatischen Schritten zur Erreichung eines Friedensschlusses teilzunehmen, war dies ein schwerer Rückschlag für die Kurie. Keiner der Fäden, die geknüpft worden waren, erwies sich als tragfähig, als im Frühjahr 1918 der militärische Endkampf und das stärkere Eingreifen der USA die Entscheidung herbeiführten.

DER FRIEDENSAPPELL PAPST BENEDIKTS XV. VOM 1. AUGUST 1917 UND DIE MITTELMÄCHTE. Diplomatische Aktenstücke des Deutschen Auswärtigen Amtes, des Bayerischen Ministeriums des Äußeren und des Britischen Auswärtigen Amtes aus den Jahren 1915 bis 1922. Bearbeitet und herausgegeben von Wolfgang Steglich. Franz-Steiner-Verlag GmbH., Wiesbaden, 1970. 675 Seiten. DM 118.—.

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