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Geben Sie den Demolierern ein Spielzeug“

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Sehr geehrter Herr Minister!

Der Unterzeichnete erlaubt sich, Ihnen und den Bundesbehörden einen Vorschlag zu unterbreiten, wie dem jetzt überall wütenden Demolierern etwas Einhalt geboten werden könnte und sie dennoch ihrer Lust, zu zerstören, weiterhin zu frönen vermöchten.

In der letzten Nummer der FURCHE wurde neuerlich darauf hingewiesen, wie- viele kostbare Zeugen unserer Kultur und Kunst von der Spitzhacke bereits vernichtet wurden und wie vielen noch dieses Schicksal droht. Die Lust, zu zerstören, scheint dem Menschen ebenso innezuwohnen, wie die Lust, zu schaffen und Schönes hervorzubringen.

Nun gibt es ein Objekt in Wien, bei dem die Demolierer ihrer Zerstörungswut ohne weiteres sich hingeben könnten, und dadurch trotzdem etwas Schönes schaffen würden.

Der Unterfertigte erlaubt sich deshalb, Ihr, Herr Bundesminister und der Herren der Bundesgebäudeverwaltung Augenmerk auf das Haus in Wien VIII, Josefstädterstraße 39 zu lenken und schlicht den Vorschlag zu machen, dieses Haus den Demolierern zur Verfügung zu stellen, damit sie dort nach Strich und Faden ihrer Zerstörungswut nachkommen können. Dieses Haus, oder richtiger Gebäude, beherbergt in seinen Räumen ein Finanzamt. Der Unterfertigte verwahrt sich sofort dagegen, daß durch seinen Antrag ein Finanzamt vielleicht zum Verschwinden gebracht werden sollte. So schön das wäre, der Gesuchssteiler weiß nur zu gut, daß Finanzämter ein zähes Leben haben.

In dieses Finanzamt war bis zum Jahr 1918 ein höheres Offizierstöchter-Erziehungsinstitut untergebracht und am First des Turms sind noch die Konturen eines abgekratzten Doppeladlers zu erkennen. Nach dem Umsturz 1918, dem Sterben der k. u. k. Armee, gab es keine k. u. k. Offizierstöchter mehr und d Grund, sie standesgemäß zu erziehen, damit sie einst ebenfalls gute Offiziersfrauen würden, fiel weg. Und so übergab die Republik dieses überflüssige Gebäude der Finanz, damit sie eventuell überflüssige Gelder den Mitbürgern abknöpfe.

Durch einen Zufall betrat ich einmal dieses Gebäude, ging durch seine Torhalle und betrat einen Hof und — traute meinen Augen nicht: vor mir erhob sich, wenn auch so völlig verwahrlost, daß man sich in einem Oststaat wähnte, die wundervolle Barockfassade eines ehemaligen Palais. Links und rechts von der Hauptfassade erstreckten sich zwei lange Seitentrakte und bilde-, ten so eine typische Cour d'hon-neur. In der Mitte des Hofes befand sich die riesige Schale eines ehemaligen Brunnens, wie man sie vielleicht noch in Rom sehen kann. Nur war der Brunnen hier schon versiegt, stumm, wie die Fenster des Finanzamtes.

Ich fragte lange hin und her, bis ich erfahren konnte, welche Bewandtnis es mit diesem entzückenden, wenn auch ganz verwahrlosten Palais habe: es ist der ehemalige Palazzo Strozzi, nach dem der Strozzigrund seinen Namen hat.

Ein Mitglied dieser bekannten Florentiner Patrizierfamilie, die bekannt ist durch ihren ewigen Streit mit den Media, war in kaiserliche Dienste getreten, um gegen die Türken zu kämpfen. (Vor kurzem entdeckte ich im Kreuzgang der Mi*\o-ritenkirche das Grabmal eines anderen Florentiner Adeligen, der ebenfalls gegen die Türken auf der kaiserlichen Seite gekämpft hat und Ende des 16. Jahrhunderts gefallen ist: ein Marchese de Ricca-soli, ein Vorfahre des nachmaligen Außenministers des jungen italienischen Königsreichs, da „Firenze ca-pitale“, Florenz die Hauptstadt des geeinte Italien war.)

Dieses Palais war somit eines der vielen Paläste, die mit ihren Parkanlagen nach der 2. Türkenbelagerung rund um Wien errichtet wurden und mit ihren Gärten Wien durch einen Grüngürtel umsäumten,der von besonderem Reiz gewesen sein muß.. 1718 ging der Strozzi-grund, nachdem die letzte Gräfin Strozzi 1714 gestorben war, an den Bischof von Valencia, Fplco de Cardona, über. Dieser Bischof von Valencia war einer der Getreuen, dfe mit Karl VI. nach dem Ende des Spanischen Erbfolgekrieges nach Wien kamen. Dann wanderte das Palais von Hand zu Hand, Wien selbst vergrößerte sich, der Garten um das Palais wurde parzelliert und das Palais von Neubauten „umzingelt“, bis es schließlich für die Öffentlichkeit unsichtbar wurde.

Vor kurzem ging ich wieder einmal durch das Finanzamt, um guten Freunden ebenfalls meine Entdek-kung zu zeigen. Und was sah ich zu meinem Erstaunen und zu meiner Freude? Die Barockfassade war eingerüstet. Die öffentliche Hand hat somit die Absicht, dieses Gebäude zu renovieren. Ich ging durch das Barockpalais hindurch zur Gartenfront und sah zu meiner noch größeren Freude, daß die rückwärtige Wand bereits fast völlig restauriert war. Mit viel Kunstverständnis und Liebe. Man sah der Fassade auf einen Blick an, daß sie von Lukas von Hildebrand oder zumindest von einem seiner Schüler stammen müsse. Der Schrebergarten, der sich früher vor der Rückseite erstreckt hatte, war verschwunden und hatte einem einfachen Rasen Platz gemacht. Nur die Fassaden der modernen Nebenhäuser waren geblieben. Ihre Bewohner müssen, wenn sie einen Blick auf diese wundervolle Fassade werfen, das Gefühl haben, ständig einer Aufführung des „Rosenkavaliers“ beizuwohnen. ■

Verzeihen Sie, sehr geehrter Herr Minister, ich bin sehr langatmig geworden. Aber jedes Gesuch muß der Gesuchsteller bekanntlich begründen.

Mein Ansuchen lautet nun: Geben Sie das Gebäude des ehemaligen höheren Offizierstöchter-Erziehungsinstituts den Demolierern frei, damit sie .ihre Zerstörungswut daselbst betätigen können. Sie sollet? es . mit ihrem Bulldozer zerstören! Und somit den Blick freilegen von der Josefstädterstraße auf dieses wundervolle Barockpalais und seine Cour d'honneur. Sie schaffen damit ein künstlerisches Juwel mehr in dieser Stadt. Und das Finanzamt? Es soll ruhig darin verbleiben. Natürlich nur im renovierten Barockpalais. Sicherlich werden die Besucher angesichts dieser Schönheit lieber ihre Steuern bezahlen. (Vielleicht!)

Ich bitte, sehr geehrter Herr Minister, mein Ansuchen einer wohlwollenden Prüfung zu unterziehen und verbleibe mit dem Ausdruck meiner vorzüglichen Hochachtung

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