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Gebler stirbt am Herzinfarkt

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Nicht annähernd so traditionsbela-stet wie das Wiener Burgtheater, versteht es Zürich dennoch, mit kaum geringerem Stolz auf sein Schauspielhaus hinzuweisen, das vor allem im letzten Weltkrieg zu legendärem Ruhm gelangte. Mit zäher Liebe hängen die Eidgenossen an dem 1889 errichteten, technisch längst unzureichend gewordenen Gebäude, zu dessen Umbau man sich jetzt entschlossen hatte. In 19 Monaten wurden für fast 20 Millionen Franken Verbesserungen getroffen, darunter eine Studiobühne im Keller unter dem erweiterten, aber noch immer recht kläglichen Foyer. Geblieben sind der häßliche, schlauchartige Zuschauerraum mit peinlich engen Sitzreihen (990 Plätze) und die Nudelbrett-Bühne (12 x 13 Meter), deren vollgeräumte Enge vor allem die Eröffnungsvorstellung „Wilhelm Teil“ beeinträchtigte.

Gerhard Klingenberg, neuer Zürcher Theaterdirektor, war klug genug, sich in Werner Düggelin, Basels designiertem Intendanten, eines forschen und bewährten Paladins zu versichern, der allerdings den Begriff der „Doppeldirektion“ offiziell weit von sich weist. In seiner Antrittsrede legte Klingenberg ein umfassendes Programm vor: Bekenntnis zum Ensemle-Theater, in dem sämtliche Schauspieler - meist mit Jahresverträgen - zur Übernahme großer und kleiner Rollen verpflichtet sind. Der Schwerpunkt des Repertoires liegt auf den Klassikern, für zeitgenössische Dramatiker und Experimente hat man die Kellerbühne. Mit Jörg Zimmermann wurde die Position eines Ausstattungsleiters neu geschaffen, die in den letzten Zürcher Jahren vakant war. Wolfgang Mai und Franziska Loring arbeiten als festverpflichtete Bühnen- und Kostümbildner und fügen sich in Klingenbergs Konzept, das er einen „Haufen denkender Menschen“ nennt, „die wissen, wie man Theater macht und es auch tun wollen.“

Großmütig schenkte der neue Hausherr den Zürchern zur Eröffnung drei Gratisvorstellungen von „Wilhelm Teil“ und Voltaires „Candide“. Das Schiller-Drama entsprach an Unzulänglichkeiten allerdings eher einer Schülervorstellung. Auf der mit Felsen und begrünten Hügeln vollgepfropften Bühne (Wolfgang Mai) ließ Werner Düggelin, ängstlich um Unterdrückung des Schillerschen Pathos bemüht, seine verunsicherten Darsteller teils beiläufig plaudern, teils Schweizer Chronik zu monotonem Holzscheitergeklapper skandieren Wilhelm Teil (Matthias Habich) posierte als blonder Recke, Geßler, ein Nervenbündel (Peter Brogle), verendete kommentarlos am Herzinfarkt, Attinghausens Sterbeszene glich einem Nickerchen im Barocksessel auf der Almwiese, und nach turbulentem Kuhglocken-Freudentaumel schloß der Regisseur kühn mit der versetzten Parricida-Szene das zerdehnte und nun vollends undramatisch gewordene Werk. Die Schweizer Presse kommentierte das Ereignis teils kritisch-mokant, teüs wohlwollend.

Ein Lichtblick der nächste Tag: Roberto Guiccardini spulte mit Voltaires „Candide“ seine Burgtheater-Inszenierung im turbulenten Commedia dell'arte-Stil ab - noch einige Grade animierter, hektischer als vielleicht in Wien, noch kontrastreicher in den Protagonisten seiner elf Schauspieler, die 67 Rollen verkörpern, und deren Leistung er mit Recht „sono bravissi-mi“ nannte. Die pittoreske Leidensgeschichte des Candide hatte in Christoph Bantzer ihren reinen Toren, in seinem Lehrmeister Pangloss (Peter Arens) einen sarkastischen Vertreter der optimistischen Philosophie von der besten aller möglichen Welten und in der kapriziösen Christiane Hörbiger eine weit kokettere und laszivere Kunigunde als es seinerzeit Sonja Sutter mit allerdings erotischerer Ausstrahlung war.

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