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Gilles, der einsame Harlekin

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Er hatte galante Feste gemalt und sanfte Schäferspiele, er hatte für elegante Feierlichkeiten zarte Wanddekorationen entworfen, er hatte die,Melancholie der Lust zum Ausdruck gebracht und in all der verfeinerten Lieblichkeit auch die Todesangst dargestellt, die seine Figuren wie ein kaum sichtbarer Schleier umgibt, aber zwei Jahre vor seinem Tod betrat der arme Jean-Antoine Watteau selbst die Bühne.

Er war fünfunddreißig und schwächlich, und angesichts der allerhöchsten Auftraggeber und der Beschaffenheiten des Kunst-

marktes immer noch nicht verwegen genug, sich selbst zu porträtieren. Er malte nicht seine Gesichtszüge und seine Gestalt. Er malte sein Schicksal.

Da steht er nun auf einer Rasenbank vor der kulissenähnlichen Landschaft eines Parks, steht ratlos da, machtlos, den Launen des Publikums undldes Lebens ausgeliefert, trägt das weiße Seidengewand eines italienischen Harlekins: das Kostüm seines Berufes. Er lebt davon, den feinen Herren und Damen ein wenig Freude zu bereiten, nun aber sind sie offenbar nicht zugegen, er kann innehalten, sich einfach hinstellen, nichts Besonderes tun, sondern bloß in sich hineinblicken, während sich die anderen Komödianten im Hintergrund, in der Versenkung eines Hohlweges, mit anderen Dingen befassen.

Der eine reitet grinsend ein wundersam trauriges Tier, der andere blickt aufgeregt auf einen Punkt, den wir nicht sehen können, ein dritter betrachtet verwundert, aber eigentlich gleichgültig das Geschehen; allein die Frau scheint entschlossen, wohltätig einzugreifen.

Aber das alles ist ein unverständliches Spiel irgendwo im Hintergrund, in der Tiefe; der junge Harlekin ist von seinen Gefährten getrennt, steht nur da, scheinbar breithüftig in seiner Bekleidung: ein Kostümträger. Der zarte Körperbau bleibt verborgen, die zum Tanzschritt trai-niertenFüßeruhenauf dem Boden, die sonst so ausdrucksvollen Hände wirken auf einmal klobig und schwer, und der Mund, daran gewöhnt, lächelnde Heiterkeit zu zeigen, ist nur ein Mund.

Die Einsamkeit des Harlekins ist vollkommen.

Ich sah das Bild zum ersten Mal nach einem langen Streifzug durch die Säle und Gänge des Louvre irgendwo in einem kleinen Raum, im zweiten Stock, halb versteckt, von all den weltberühmten Kunstwerken des Museums weit entfernt.

Niemand außer Watteau (und nach ihm Mozart) hat die gesellschaftliche Stellung, die innere Einstellung und das Lebensgefühl jener Menschen, die sich Künstler nennen dürfen, derart eindringlich zum Ausdruck gebracht. Das Tragische liegt nicht im Ringen um Form, sondern im Erringen des Graziösen — trotz allem.

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