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Hakenkreuzweg Jesu

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1.. Station: Jesus wird in Schutzhaft genommen und vom Gestapochef zum Tode verurteilt. (S. Abbildung rechts außen.)

Jesus nimmt stumm alle Anklage auf sich, Jude zu sein. Er weiß, was dies bedeutet: Untermensch, Schwein, Ungeziefer, und ladet so unsere Christenschuld auf sich. Jesus ist bereit, den Weg menschlichen Ungeziefers zu gehen, um uns zu retten.

2. Station: Jesus nimmt das schwere Kreuz des Judensterns auf sich.

Er muß mit bloßen Händen, den gelben Stern auf der Brust, die Straßen Wiens schrubben und mit den Lippen den Unrat auflesen. Die johlende Menge spuckt ihm ins Gesicht, tritt ihn.

3.. Station: Jesus fällt zum ersten Mal unter den Schlägen des Ochsenziemers.

Er wird auf den „Bock" gelegt und geschlagen. Selbst muß er die Schläge zählen. Am Ende zwingen sie Jesus, sein eigenes Blut aufzuwischen. Nun stoßen sie ihn zu seinen 80 Leidensgenossen in einen Viehwaggon; die Türe wird verschlossen, der Waggon versiegelt und mit der Aufschrift versehen: „Achtung! Nicht öffnen! Seuchengefahr!"

4.. Station: Jesus begegnet seiner Mutter.

Jesus blickt durch die mit Stacheldraht vergitterte Lichtöffnung auf den Bahnsteig. Seine Mutter entdeckt ihn, nachdem sie ihn lange unter den Gesichtern hinter dem Stacheldraht gesucht hat.

5.. Station: Jesus begegnet in Mauthausen den weinenden Christenfrauen.

Auf dem Weg in das Konzentrationslager längs den Straßen der Stadt schluchzen die Frauen und wischen ihre Tränen mit den Kleidern und Schürzen ab. Sie bedauern, nicht helfen zu können, sonst würden sie den ganzen Ort gefährden.

6.. Station: Simon hilft Jesus in den Güterzug nach Auschwitz.

Jesus wird in das Vernichtungslager überstellt. Simon reicht ihm einen Becher mit Wasser. Dabei wird er von einem SS-Posten gestellt und mit einem Tritt in den Waggon gestoßen. So hilft Simon, Jesus das Hakenkreuz zu tragen.

7.. Station: Jesus kommt in Auschwitz-Birkenau an.

Simon ist tot, während des qualvollen Transports im Viehwaggon elend verreckt. Der ohnmächtige Jesus wird aus dem Waggon auf die Rampe geworfen. Ein Capo schlägt ihn ins Bewußtsein zurück. Jetzt wird Jesus vom SS-Arzt selektiert. Er ist zu schwach für die Zwangsarbeit und kommt zur Gruppe der Alten, Kranken, Schwachen und Kinder.

8.. Station: Jesus fällt zum zweiten Mal.

Die Schergen schütten ihm einen Kübel Wasser ins Gesicht, schlagen Jesus, winden einen Stacheldraht um sein Haupt und treten ihn. Jesus liegt schmerzverzerrt auf dem Rücken, wehrt mit der Hand den Schlagstock ab. Das reißende Tier läßt von seinem Opfer, wenn das unterlegene seine Kehle zum tödlichen Biß darbietet. Nicht so der Mensch. Ein SS-Mann legt einen Stock quer über Jesu Kehle, stellt sich darauf und wippt ihn an den Rand des Erstik-kungstodes.

9. Station: Edith Stein, ein Mithäftling derselben Kolonne, nimmt Jesus den Stacheldraht ab und reicht ihm voll Mitleid ihr Taschentuch.

Es wird zum Schweißtuch des Herrn - Abbild des KZ-Häftlings. Zwei Mitgefangene stützen Jesus; er wird entlang des mit 6000 Volt geladenen Stacheldrahtzaunes geschleift und gezerrt. Die Luft ist voll vom Geruch verbrannten Menschenfleisches.

10.. Station: Jesus muß sich seiner Kleider entledigen.

Im Auskleideraum wird Jesus seiner Habe beraubt; wie alle seine Mitleidenden legt er Kleider, Wäsche, Schuhe ab. Alles wird beschriftet und numeriert.

11.. Station: Jesus wird zur Entlausung ins ,JJad" gedrängt.

Nackt steht der Heiland der Welt da, zusammengepreßt mit seinen 2999 Mitgefangenen — die Menschenzahl einer Vernichtungsaktion. Alle sollen sie nun vom Ungeziefer befreit werden. Die Desinfekteure verriegeln die gasdichte Tür, schrauben sie zu. Zu spät erkennen die Menschen, daß sie selbst zum Ungeziefer des Reiches geworden sind.

12.. Station: Jesus wird als unser Bruder in Auschwitz vergast.

Die mit Gasmasken geschützten Mörder schütten das Zyklon B, blausäuregetränkte Kieselerde, durch Schächte im Plafond auf die Menschen. Das entweichende Giftgas bewirkt die Todesangst Christi. Die Opfer schreien, ver-krampfen und verkrallen sich ineinander. Röcheln, Stöhnen: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" Der SS-Arzt, das Auge ans Guckloch der Gaskammertür gepreßt, brüllt: „Aktion beendet! Exhaustoren einschalten!"

13.. Station: Der tote Jesus wird aus der Gaskammer gezerrt.

Die Mitglieder des Sonderkommandos reißen mit Leichenzangen die toten, ineinander verkrampften Körper auseinander. Der Leichnam Jesu wird seiner Haare und seines Zahngoldes beraubt.

14.. Station: Jesus wird ins Feuergrab geschoben.

Der Ofen im Krematorium öffnet sich. Der Leichnam Jesu wird mit zwei anderen in die Flammenhölle geschoben und verbrannt. Todgeweihte Häftlinge schütten die Asche unseres Herrn und seiner Brüder und Schwestern hinter dem Krematorium in den See.

15.. Station: Jesus geht nach seiner Auferstehung mit Juden und Christen, die die Konzentrationslager überlebt haben, nach Jerusalem.

Auf diesem Weg lehrt er sie das Gesetz und die Propheten, die Erlösung und Pater Maximilian Kolbe verstehen, denn sie verstanden Gott und die Welt nicht mehr. Jesus sagt: „Wußtet ihr nicht, daß dies alles so geschehn mußte, damit ihr Lebenden noch lebendig sein könnt? Seid wachsam und betet! Dankt und lobt den Herrn, wie dies Pater Kolbe, Edith Stein, Janusz Korczak und viele Millionen Menschen vor euch getan haben!" Die Geretteten, voll des Staunens, glaubten seinen Worten; da verließ sie der Auferstandene.

16. Station: Jesus erscheint dem Thomas.

Einer aber glaubt den Worten seiner Mitmenschen, die dabeigewesen waren, nicht. Thomas hält dies alles nicht für möglich und spricht: „Wenn ich nicht meine Hände in den See von Menschenasche tauchen und die verbrannten Knochenreste greifen kann, glaube ich nicht!" Da führt ihn der Herr nach Auschwitz-Birkenau zum Menschenaschensee, hinter dem vierten Krematorium. Thomas erstarrt, will fliehen, doch der Auferstandene zwingt ihn in die Knie: „Tauche deine Hand in den Aschensee! Wühle den Boden auf — und sei von nun an nicht mehr ungläubig, sondern gläubig."

Der Bild/Text-Kreuzwegband wird noch vor Ostern von Pax Christi in Buchform herausgebracht werden.

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