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Helfer auf dem neuen Lebensweg

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Wer sich neben voller beruflicher Belastung dazu entschließt, die Matura nachzuholen und den Weg dahin durchhält, der hat eine zweifache Reifeprüfung bestanden, die des Geistes und des Willens. Am Bundesgymnasium für Berufstätige in Wien 15 beträgt die Studiendauer neun Semester.

Fünf Abende der Woche sind mit je vier Stunden Unterricht zu fünfzig Minuten voll ausgefüllt, eine dieser zwanzig Stunden ist ein Angebot, von dem man sich dispensieren kann: Religion ist hier wie an jeder öffentlichen Schule ein Pflichtfach mit Abmeldemöglichkeit. Bei der Exter-nistenmatura, die in privaten Maturaschulen vorbereitet wird, kommt das Fach Religion überhaupt nicht vor. Die Zahl jener Berufstätigen die bereit sind, in ihren schulischen Wissensfortschritt auch den religiösen Bereich miteinzubeziehen, ist beachtlich. Nirgendwo ist das Interesse für das Fach Religion so groß, nirgendwo war und ist auch die Verantwortung für die Lehrinhalte so voll bewußt wie an diesem Abendgymnasium.

Oberstes Ziel der theologischen Unterweisung ist hier die Stärkung des Vertrauens. In der Bibel findet sich das Wegmotiv zu einer Zeit vor, in der es keine ausgebauten Straßen gab. Man mußte den Weg - auch durch Wüsten -selbst finden. Viele Studierende suchen mit dem abendlichen Schulbesuch nach einem neuen Lebensweg. Hilfe zur Selbsterkenntnis, zum Selbstvertrauen, Motivation für den Willen sind hier nötig. Der auf Gott vertrauende Mensch — nicht blind, sondern orientiert und sensibilisiert an biblischen Inhalten dafür — kann einen Bündnispartner und Wegweiser finden, der erfahrbar und mitunter sichtbar zum Helfer in der Not wird. Der Gott Jesu ist keine fromme Zugabe, sondern Wirklichkeit. Das ins Bewußtsein zu rufen, ist ein wesentliches Ziel dieses abendlichen Religionsunterrichts.

Die Hörer leben in den Jahren ihres Studiums in solch belasteten Situationen, daß sie sich nicht akademisch distanziert, sondern existentiell engagiert mit der Botschaft der Bibel auseinandersetzen. Die Beschäftigung mit biblischen Texten steht im Vordergrund, weil sie gleichsam Spiegel und Wegweisung des Menschseins sind. Die Bereitschaft, sich Woche für Woche trotz aller Zeitnot um das Wort Gottes zu sammeln, ist in sich schon ein Akt des Bekennens. Ehrfurcht, Staunen und Betroffenheit, Haltungen die heute Mangelware sind, werden hier eher erlebt. Glaubensverkündigung galt ja immer und in erster Linie dem Erwachsenen, der die Wertigkeit des Gehörten im Licht seiner Lebenserfahrung besser zu beurteilen vermag als der junge Mensch, der häufig von einem Defizit an familiärem Gesprächsklima geprägt ist.

Der Religionsunterricht leidet heute trotz vielfacher Bemühungen an einem Mangel von Lebensrelevanz. Medien, Texte und auf Aktualität bezogene Schulbücher können seelsorgliche Erfahrungen nicht ersetzen. Neue Wege eines erlebnishaften Unterrichts für Jugendliche sind nötig, der die Lebenserfahrung und das Glaubenszeugnis engagierter Menschen einbringt und so den Schülern den Weg zur persönlichen Konfrontation etwa in einer Pfarrgemeinde ermöglicht. Der Religionslehrer ist zwar selbst Zeuge gelebten Glaubens, aber für viele ist er der einzige. Glaubenswissen braucht das Erlebnis, die persönliche Erfahrung, um zu einer prägenden und tragfähigen Uberzeugung zu werden.

Nach acht Semestern besteht am Bundesgymnasium für Berufstätige die Möglichkeit, in Religion zu maturieren. Dabei geht es in erster Linie um die Befähigung, in Kenntnis der kirchlichen Lehren seinen Glauben verbali-sieren zu können.

Der Autor ist Religionspädagoge an der Pädagogischen Akademie des Bundes in Wien und unterrichtet Religion am Bundesgymnasium für Berufstätige.

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