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Digital In Arbeit

Ich brauche keinen Lebensstil

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Manche Leute sind im falschen Jahrhundert geboren. Ich bin auch so jemand. Meine altmodische Einstellung zeigt sich überall. In meinen Bücherregalen stehen Romane aus dem vorigen Jahrhundert. Ich finde, daß jeder Latein lernen sollte. Ich glaube an Pflichterfüllung, Arbeit, Treue und Leid. Zuviel Vergnügen halte ich für ungesund.

Die Sprache des 20. Jahrhunderts ist mir fremd. Ich lege keinen Wert darauf, mich sozial zu engagieren, etwas anzuleiern oder eine sinnvolle Beziehung aufzubauen. Ich möchte ganz einfach lieben, helfen, etwas tun, verstehen, heiraten oder mich unterhalten. Ich möchte, daß auf echte Worte echtes Schweigen folgt.

Heutzutage '1 niemand mehr normal sein. Non,.ul heißt, daß man sich keinen geschwollenen Titel zulegt. Man ist schlicht Dienstmädchen, Putzfrau, Müllmann, Vertreter, Kaiser, König oder Bettler. Wer braucht schon all diese aufgeblasenen Superlativen? Die Menschen sollten von einer vernünftigen Tätigkeit so ausgefüllt sein, daß sie kaum dazu kommen, Nabelschau zu treiben.

Ich brauche Natürlichkeit. Ich sehne mich nach unfrisiertem Haar, Falten

im Gesicht, Schwielen an den Händen, schmutzigen Fingernägeln und lebendigen Augen. Ich möchte, daß Mütter nach gebratenem Speck riechen und Väter nach Pfeifentabak. Ich möchte, daß Kaffee duftet, Blumen frisch gepflückt sind, Schule eben Schule und Kirche eben Kirche ist.

Der Rummel des 20. Jahrhunderts ist mir zuwider. Ich habe genug von blasierten Intellektuellen, wichtigtuerischen Bürokraten, Technokraten mit ihrem Zahlentick, von verwässerten Theorien, Statistiken, Sextherapien, Ratgeberbüchern, von der Angeberei mit so wenig dahinter.

Ich will über Gott nachdenken. Ich möchte herzhaft lachen können. Ich finde, wir sollten das tiefgründige Gefasel lassen und zur Sache kommen. Ich brauche Wahrheit. Ich will das Leben und keinen Lebensstil. Ich bin am liebsten zu Hause. Wenn die „modernen" Menschen endlich genug von dem Unsinn haben, zündet vielleicht einmal einer die Lampe an, schüttelt die Kissen auf und gibt ihnen ein Plätzchen, wo sie ihr Haupt hinlegen können. Das hoffe ich jedenfalls.nbsp;

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