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Im Dutzend duzen
Neulich besuchte ich das Städchen, in dem ich einstens schillerte. Da trat ein alter Mann auf mich zu, umhalste mich stürmisch und begann begeistert: „Mein Gott, wie die Zeit vergeht! Weißt du noch, damals im Frühling, beim Schifahren auf dem Sonnblick?"
Ich wußte nichts. Und es war mir peinlich, was er alles wußte - und ich nicht einmal seinen Namen. Zumal mein Mann daneben stand und etwas indigniert von einem zum andern schaute.
Das können die Folgen von so einer Dutzendduzerei anläßlich eines gemütlichen Hüttenzaubers oder lauen Heurigenabends sein. Besonders bei einem Siebgedächtnis wie dem meinen...
Ich weiß nicht so recht. Vielleicht bin nur ich so eine introvertierte Henne. Mir sind alleine schon diese Initiationsriten, die häufig mit solchen Duzereien Arm in Arm und Mund an Mund gehen, nicht besonders lieb.
Überhaupt, seit mich eine Dame vornehm näselnd aufgeklärt hat, wahren Adel erkenne man sofort an der rechten Wangenfolge und den gewählten Küßchenstellen. Na, bitte.
Ich zucke immer noch zusammen, wenn ein mir kaum bekanntes Ver-
einsmitglied mich freundlich schmatzt und möchte beileibe nicht einer dieser Korporationen angehören, die sich weltweit riechen und gleich duzen.
Daß unsere Sprache SIE und DU zum feinen Unterscheiden hat, macht sie mir noch sympathischer.
In der k.u. k. Zeit hatte irgendein Regiment, vermutlich für irgendeine besonders tapfere Tat, vom Kaiser das Privileg erhalten, ihn zu duzend
Du, Majestät...
Ob daher der Ausruf „Servus, Kaiser" stammt?
Das war gestern: Ich gehe mit meinem Mann auf der Straße. Eine Dame kommt auf uns zu, er pufft mich plötzlich in die Seite und zischt: „Du, schnell... Helga oder Herta?" Es war Helene. Aber die Auswahl ist ja wirklich groß...
Übrigens, der alte Mann im Städtchen war ein Mitschüler. Bitte, verstehen Sie mich nicht falsch: Ich bin nicht arrogant. Bin froh und dankbar, daß wir Freunde haben. Doch ein bißchen wählen mag ich selber auch. Und wenn es nur bei SIE und DU sein sollte.
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