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In Bali ist alles anders

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In wenigen Wochen erscheint der neue Roman von Peter Henisch: ,,Bali oder Swoboda steigt aus" (Verlag Langen-Müller, München). Das hier abgedruckte Kapitel gibt ein verdichtetes Bild des Alltags in einer Schule.

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In wenigen Wochen erscheint der neue Roman von Peter Henisch: ,,Bali oder Swoboda steigt aus" (Verlag Langen-Müller, München). Das hier abgedruckte Kapitel gibt ein verdichtetes Bild des Alltags in einer Schule.

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Swoboda stellte die Tasche ab, setzte sich hin, überflog seine Vorbereitung. Die erste Stunde hatte er Geographie. Das letzte Mal hatte er (dem Lehrplan gegenüber verspätet) mit Südost-asienbegormen,warvonIndienauf dem Landweg bis Bangkok vorgedrungen. Heute war Indonesien dran, akkurat:

Was würde er seinen Schülern darüber erzählen? Geologische Zusammensetzung, Fläche in Quadratmetern, Einwohnerzahlen? Indonesien, ein Archipel, bestehend aus 13.000 Inseln. Auf der Landkarte nahm sich Bali nicht anders aus als die andern.

Aber: In Bali haben sie einen Vulkan in Betrieb und keinen No-

vember. Goldenes Licht und eine Cinemascopeküste mit Korallenriffen. Pagoden und Gongs, Götter und Dämonen, einen ungeheuren Sternenhimmel, Frauen mit Mandelaugen und biegsamem Körper.

Nein, das würde er seinen Schülern lieber nicht zitieren. Und auch von Franz würde er besser nichts erwähnen.

Alles wäre anders gekommen, wenn Franz rechtzeitig gegangen wäre? Oder Franz wäre rechtzeitig gegangen, wenn alles anders gekommen wäre? Nein.

Nun schrillte die Glocke, und Swoboda raffte sich auf. Beim Weg durch den Korridor spürte er, daß seine rechte Hand, die den

Alles wäre anders gekommen, wenn Franz rechtzeitig gegangen habt. Doch jetzt, nach mehr als zehn Jahren, geschah ihm das selten. Lampenfieber kannte er längst nicht mehr. Er war Lehrer, da waren die Schüler, die er unterrichten sollte, das war sein Beruf. Oder zumindest sein Job, in dem er nicht schlecht war. Weder hatte er Angst, sich nicht durchsetzen zu können, noch, nicht recht anzukommen, beides war vorbei.

, Sicher, bis Ruhe herrschte, wenn er die Klasse betrat, das dauerte länger bei ihm als bei manchem anderen. Früher, da hatte der Chef ihn manchmal zur Rede gestellt. „Disziplin, Herr Kollege, mehr Disziplin! Selbst bei jüngeren Lehrern klappt das viel besser. Beispielsweise bei Jeschek, kommen Sie mit." Das war in Swobodas Freistunde gewesen, da hatte ihn der Chef genötigt, mit ihm an der Tür zu lauschen, hinter der sein Musterkind Jeschek agierte. Grabesstille, bis auf die Stimme Jescheks. Und das Schnaufen des Chefs (er hatte Asthma). „Sehen Sie, hören Sie, so und nicht anders gefällt’s mir!" Aber das hatte Swoboda wenig beeindruckt. Bis heute war ihm so etwas vollends egal. Er hatte eine schulfeste Stelle, und der Chef konnte ihm den Buckel hinunterrutschen.

Abgesehen von disziplinaren Lapalien hatte er übrigens kaum Schwierigkeiten mit den Schülern. Bis vor kurzem jedenfalls war das so gewesen. Jetzt machte ihm die Auseinandersetzung mit einem neuen, geschneuzten und gekämmten Law & Order-Typ, den es in den ersten Jahren seiner Schulpraxis kaum gegeben hatte, gewisse Probleme. Aber im großen und ganzen war er beliebt.

Geographie und Deutsch, das waren ja interessante Fächer. Und er verstand das interessant zu vermitteln. Da gab es viel um den Stoff herum zu erzählen. Und erzählen, das konnte Swoboda gut. Das war ihm erst kürzlich

wieder bestätigt worden. Er hatte über die Romantik zu sprechen begonnen (eins seiner Lieblingsthemen). Da hatte ihm die Kirsch (eine seiner Lieblingsschülerinnen) folgendes gesagt: „Herr Professor, an Ihnen ist ein Schriftsteller verlorengegangen." Ja, das hatte ihn wirklich aufgebaut. Wenngleich ihn die Formulierung getroffen hatte. Hatte sie sagen müssen: „verlorengegangen?" Verlorengegangen. Er hoffte, sie hatte nicht recht.

Wie dem auch sei, seine Hand schwitzte noch immer, als er die 7A betrat. „Bleibt sitzen!" sagte er routinemäßig, aber die Schüler standen seinetwegen ohnehin nie auf. Da er kein Taschentuch fand, trocknete er die schwitzende Hand verstohlen in der Hose. Dann saß er und wartete, bis das Gemurmel nachließ. Die Helfer plazierten den Kartenständer, entrollten die Karte. Bali, ein winziger, gelber Fleck, umgeben von Blau. Zuletzt hatte er so geschwitzt, als ihm Jutta als Probelehrerin zugeteilt worden war. Ansonstep schwitzte er nur, wenn er Bali durchnahm.

Dabei war Bali ursprünglich nichts als ein running gag gewesen. Der alte Axmann hatte das

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