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Kantate nach Camus und „Sacre”

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Nachdem zu Beginn der vergangenen Woche die „Musikalische Jugend Österreichs” sich selbst gefeiert hatte und gefeiert wurde, widmete sie sich drei Tage später wieder ihrer Hauptaufgabe, nämlich: ihre Mitglieder mit Werken der neueren und neuesten Musik bekanntzumachen. Wie sehr diese Bestrebungen sowie ihre übrigen Veranstaltungen, in rund 20 Zyklen gegliedert, Anklang und Verständnis finden, bewies die auf einem von Präsident Mautner Markhof veranstalteten Empfang nach dem Festkonzert im Kammersaal des Musikvereins erschienene Prominenz aus Kultur und Politik.

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Nachdem zu Beginn der vergangenen Woche die „Musikalische Jugend Österreichs” sich selbst gefeiert hatte und gefeiert wurde, widmete sie sich drei Tage später wieder ihrer Hauptaufgabe, nämlich: ihre Mitglieder mit Werken der neueren und neuesten Musik bekanntzumachen. Wie sehr diese Bestrebungen sowie ihre übrigen Veranstaltungen, in rund 20 Zyklen gegliedert, Anklang und Verständnis finden, bewies die auf einem von Präsident Mautner Markhof veranstalteten Empfang nach dem Festkonzert im Kammersaal des Musikvereins erschienene Prominenz aus Kultur und Politik.

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Das am vergangenen Freitag von Miltiades Caridis geleitete Konzert des ORF-Chores und Orchesters mit Walter Reyer als Sprecher begann mit der Kantate „Die Pest” nach Albert Camus von Roberto Gerhard.

— Camus schrieb seinen berühmten Roman, der mit dem Prix de la critique ausgezeichnet wurde, 1947, sieben Jahre nach dem wirklichen Ausbruch einer Pestepidemie in Oran. Es gibt, unter dem Titel „Belagerungszustand”, auch eine Dramatisierung des Romanes, aber sie ist schwächer als das Buch, in ctem der Atheist und Humanist Camus den Arzt Rieux zuim Chronisten menschlichen Leidens und menschlicher Opferbereitschaft macht, zu jenem „heros insignifiant et efface”, der nicht nach Glück strebt, sondern nach Solidarität mit den Opfern.

Diese „Handlung”, d!ie eher eine ZustandssChilderumg, eine Passion, ist, hat der 1896 als Sohn eines Schweizers und einer Französin in der Provinz Tarragona geborene spanische Komponist Roberto Gerhard in neun Episoden gegliedert und 1964 komponiert. Gerhard, zunächst Autodidakt, studierte zuerst in Barcelona, später dann in Wien bei Arnold Schönberg, dem er auch nach Berlin, als Assistent, folgte. (Er hat vier Symphonien sowie zahlreiche Schauspiel- und Hörspielmiusiken geschrieben und ist im Jänner 1970, also vor genau fünf Jahren, in Cambridge, wohin er 1939 emigriert war,, gestorben.)

Gerhard ist ein avancierter Komponist mit dramatischem Talent, aber ohne eigenes Profil. Er schreibt eine freitonale, zu lautstarken Ausbrüchen tendierende Musik, die mit allem Raffinement des modernen Orchesters (Xylophon, Klavier und großem Schlagwerk) ausgestattet ist und einen sehr gekonnten, gutkldn- genden Chorsatz. Vernünftigerweise

— und im Sinn des Werkes von Camus — verzichtet er auf Solisten, sondern setzt einen Sprecher ein, während der Chor die leidende Masse, das Volk, symbolisiert: sprechend, flüsternd, sahreiend, auch singend…

Die neun Episoden heißen: Oran, Der Ausbruch der Krankheit, Auswirkung auf die Bevölkerung, Das Gesundheitskomitee, Die Schließung der Stadttore, Der Tod des Mädchens, Die Begräbnisse, Der Todeskampf des Jungen und Plötzliches Ende der Epidemie. — Das Werk fängt mit dier Anrufung und Beschreibung Orans vielversprechend an und kulminiert in einigen nur von einzelnen Soloinstrumenten kontrapunktierten A-cappella-Chö- ren. Aber dazwischen gibt es viel leeren Lärm und oberflächliche, wenn auch lautstarke I Illustrations- musik. Der Grundfehler aber liegt wohl in der Wahl des Sujets, das sich — in der Version und Auffassung von Camus — einfach nicht für eine Kantante eignet; wo die Musik, jedenfalls die von Roberto Gerhard, nichts hinzuzufügen vermag. Da konnte auch die sorgsame pinstudie- rung und der volle Einsatz von Chor und Orchester, vor allem der kluge und angenehme Sprecher Walter Reyer nichts retten.

Völlig hinweggefegt wurden auch die letzten Reste von positiven Eindrücken durch den 50 Jahre älteren „Sacre du printemps” von Stra- winsky, von dem der Komponist Frank Martin mir zwei Jahre vor seinem Tod sagte, daß dieses Werk, das er vor einem halben Saeculum zum erstenmal gehört hat, auf ihn immer noch wie damals wirke: als permanenter Schock. Caridis und das ORF-Orchester haben mit seiner Wiedergabe - eine Meisterleistung vollbracht. Wie nur wenige seiner Generation vermag Caridis Feuer und Disziplin zu vereinen und zu faszinierender Wirkung zu bringen. Er schlägt nicht nur den Takt — worin ja die Hauptaufgabe eines „Sacre”-Interpreten besteht, sondern moduliert und akzentuiert in jeder Sekunde, stets auch auf die Schönheit des Klanges bedacht. Und das Orchester gehorchte jedem leichtesten Wink und übertraf sich selbst an diesem Abend.

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