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Kerle und Mitmenschen

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Es waren interessante Leute, mit denen ich da vor einigen Tagen beim Mittagstisch saß. Man plauderte, lobte, tadelte, besprach manches, stellte manches in Aussicht. Wie das so geht, landete auch dieses Gespräch letzten Endes bei dem Stichwort Politik und denen, die davon leben. Politikverdrossenheit, Politikerverdrossenheit, das sind Worte, die man derzeit überall hört, und dazu erlaubte ich mir zu bemerken, daß mich Politiker nicht stören oder gar abstoßen. Im Gegenteil - hatte ich doch das Glück, Bruno Kreisky und Leopold Figl näher zu kennen und ich kenne auch Menschen, die heute in den „Gremien” viel zu reden haben. Viele von ihnen sind fleißig, sauber und gescheit.

Anders ist es wohl mit einem gewissen Kreis von Leuten, die als Mitesser an den Politikern, oder solchen, die sich dafür halten, hängen wie Blutegel.

Da kenn' ich zum Beispiel einen Herrn - hab' ich erzählt - also, Herr ist übertrieben, einen Mann - nein! -Mann eigentlich auch nicht! - einen, ich sag's, wie ich es empfinde, -einen Kerl also, der von jedem Süppchen gekostet, von jedem Bratl sein Stückl abgeschnitten, an jedem Glaserl genippt hat. Wen wundert's - lebt er doch davon. Er, der Kerl, (ich nenn' ihn so bei mir, die Opportunistenglatze) war jung und stramm - Katholik, Kommunist, Wahlhelfer für rot und schwarz, Waldheim-Propagandist und ist - so ist' s der Zug der Zeit, meint er - nun endlich dort gelandet, wo er immer hingehört hätte - bei den Unterstützern des Haiderschen Volksbegehrens. Ein flotter Geist, nicht viel gereist, aber ein Sch(nitt)laucherl auf jeder Suppe. Ein Schmierfink? Ein Lumperl? Ein Schleimerchen? I wo! Ein Gesinnungsloser, wie manche im

Land und einer der begriffen hat, was Umwegrentabilität wirklich bedeutet.

Die Honorigen des Kreises, sie lachten nicht ob meiner Erzählung, sie blickten traurig auf ihre Teller - es war eine peinliche halbe Minute. Noch heute frage ich mich: Kennen die den Kerl vielleicht? Sie können ja nix dafür, daß sie so einen kennen. Ich kannte ihn leider auch.

Eine Stunde Froh-Sein

Gott sei Dank habe ich anderes neu kennen lernen dürfen. Ich habe -Fasching war's - einen Vortrag heiterer Art im Frauengefängnis in NÖ. gehalten, vor weiblichen Häftlingen, und es war ein Nachmittag, der mir bestimmt ebensoviel schenkte, wie ich dort geben konnte. Ich bin glücklich, daß ich die Frauen (eigner Schuld zufolge eingesperrt - ich weiß schon) für eine Stunde lachen machen konnte, denn ich weiß, wie sehr jeder, der „sitzt” ein bißl Froh-Sein notwendig hat. Wir, die wir uns frei bewegen können, bewerten den „Strafvollzug” leider meistens falsch, denn er soll nicht der Rache dienen, sondern der Resozialisierung. Mord ist etwas Grauenvolles, Lebenslänglich ist es auch. 15 Jahre ohne Familie, ohne Frau oder Mann, ohne Privatleben, ohne - Hoffnung. Da geht eine Frau, ein Mann in den „Häfn”, sein (ihr) Kind ist sieben, wenn die Entlassung ansteht hat das Kind die Lehre beendet und ist ein (fast) erwachsener Mensch.

Ich bitte, mich nicht falsch zu verstehen. Ich weiß es, Strafe muß sein -aber es muß doch erlaubt sein, auch mit diesen Menschen - die sich sehr oft erst im Gefängnis von ihrem Mensch-Sein entfernen, Mitleid zu haben und auch in ihnen die Schwester, den Bruder, den Mit-Menschen zu sehen. Schuld und Sühne - gut. Aber weinen wird man doch noch dürfen.

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