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Kulturzentrum im Dorf erhalten

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Nach dem Zweiten Weltkrieg bemühte man sich im Lande Vorarlberg zielstrebig, das Volks- und Hauptschulnetz optimal auszubauen. Ein Bundesland mit hoher industrieller Entwicklung und immer stärker werdenden Ballungszentren hatte aber auch gleichzeitig eine besondere Problemstellung:

In den Talschaften des Landes war Rücksicht zu nehmen auf jene Kinder, die in entlegener Berglage wohnen und daher vom reichlichen Schulangebot nicht oder nur unter besonders erschwerten Umständen Gebrauch machen können. Im Sinne einer echten Chancengerechtigkeit galt es, auch ihnen ein Schulangebot anzubieten, das jenem der Ballungszentren möglichst gleichwertig sein sollte.

Diese Zielsetzung zu verwirklichen, war eines der Gebote, das parallel mit der Schulreform von 1963 schrittweise verwirklicht wurde. 15 Jahre danach kann festgestellt werden, daß die Auflösung der Oberstufen an den Volksschulen nicht überfallsartig und erzwungen, sondern kontinuierlich und untermauert mit sachlichen Argumenten, immer im Einklang mit der dort wohnenden örtlichen Bevölkerung, realisiert wurde.

In der gleichen Reihenfolge wurde dann der zweite Klassenzug an den Hauptschulen des Landes eingeführt und ist lückenlos nun in allen Haupt- schulsprengeln Vorarlbergs gegeben. Als Schulpolitiker und insbesondere als Bildungspolitiker des Landes Vorarlberg bin ich aber glücklich darüber, daß wir die Auflösung der Volksschuloberstufen nicht zur Perfektion werden ließen.

Bei jeder Auflösung wurde abgewogen, ob eine Auflösung der Volksschuloberstufe auf Grund der konkreten örtlichen Gegebenheiten überhaupt verantwortet werden kann.

Die Vorarlberger Landesregierung bekennt sich zur höher organisierten Schule, da sie sicherlich ein konzentriertes und global besseres Bildungsangebot vermittelt. Es gibt aber Einflußfaktoren, wie zu weite Schulwege und Entfernung von der dörflichen Gemeinschaft in einem zu weitgehenden Maße, daß einfach unter Ablegung dieser Problemkreise der Beibehaltung der Volksschul- o.berstufe weiterhin das Wort geredet werden mußte.

In der Innerfratte des Montafons, im großen Walsertal und überhaupt in der Bergregion des Bezirkes Blu- denz gibt es noch 16 Volksschulen mit Oberstufen und weitere 35 Volksschulen verfügen über die Unterstufe.

Der Bezirk Bregenz ist verkehrsmäßig günstiger gelegen. Hier sind von 58 Volksschulen zwei Oberstufen erhalten geblieben. Beide liegen im Bregenzerwald, eine davon in der Berggemeinde Warth, die mitunter viele Wochen im Jahr von der Umwelt abgeschlossen ist.

Im Bezirk Dornbirn ist von 22 Volksschulen eine, und im Bezirk Feldkirch sind von 40 Volksschulen sieben mit Oberstufe erhalten geblieben, wobei hier wiederum entlegene Bergregionen das ausschlaggebende Argument waren.

Selbst wenn in den vergangenen Jahren durch den Schülertransport mit Schulbussen eine Linderung der Gesamtsituation eingetreten ist, möchte ich eindeutig feststellen, daß es nicht nur ein Schulproblem, sondern ein bildungspolitisches Problem für den ländlichen Raum darstellt, wenn eine Volksschule aufgelassen wird.

Daher leisten wir uns auch den „Luxus”, in jeder Gemeinde unseres Landes die Volksschulunterstufe mit allen Mitteln zu halten, da der ländliche Raum mit seinen Problemen auch kulturell nur so lange die hohe Entwicklungsstufe im dörflichen Gemeinschaftsleben bieten kann, so lange die Schulen dort erhalten bleiben.

Also muß unser Ziel sein, zumindest die Volksschulunterstufe in jeder Gemeinde zu erhalten. Dies ist gelungen, wenn auch die Schülerzahlen oft äußerst gering sind. In dieser Frage scheint aber der Vorteil der Erhaltung des Kulturlebens und der Bindung des Kindes an seine Heimatgemeinde wichtiger als ökonomische und selbst schulpädagogische Überlegungen.

Wir sehen daran, daß es eine hochpolitische Abwägungsfrage ist, denn dann, wenn hochqualifizierte Lehrer vorhanden sind, ist in diesen Fällen der Vorteil auch bei jenen Schulen zu suchen, wo die Kinder individuell optimal betreut werden und gleichzeitig das Gemeinschaftsleben erhalten bleibt, wie dies in unserem Lande in allen 96 Gemeinden der Fall ist.

Man könnte auch die Faustregel aufstellen, daß dann, wenn eine Gemeinde keine Volksschulunterstufe mehr erhalten kann, sie selber zu existieren aufgehört hat und ein Zusammenlegungsverfahren überlegt werden müßte. Da dies gerade der Mentalität des alemannischen Raumes nicht entspricht, ist der Vorarlberger Lösung eines permanenten Abwägens und upter Zweifel des Beibehaltens der Volksschulunterstufe der Vorzug zu geben. Dies hat sich bewährt und steht auch mit der Bevölkerungsmeinung in Einklang.

Chancengleichheit ist unmöglich, mehr Chancengerechtigkeit zu verwirklichen ist aber die Aufgabe der V erantwortlichen.

(Der Autor ist als Landesrat der Vorarlberger Landesregierung für das Schulwesen verantwortlich).

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