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Lebenserinnerungen des Johann Blöchl

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Ein bemerkenswertes zeitgeschichtliches Dokument für Oberösterreich sind auch die im Oberösterreichischen Landesverlag erschienenen Lebenserinnerungen des 1895 geborenen Politikers Johann Blöchl, der schon in der ersten Republik von Oberösterreich an die „politische

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Ein bemerkenswertes zeitgeschichtliches Dokument für Oberösterreich sind auch die im Oberösterreichischen Landesverlag erschienenen Lebenserinnerungen des 1895 geborenen Politikers Johann Blöchl, der schon in der ersten Republik von Oberösterreich an die „politische

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Front” nach Wien geschickt wurde, den Höhepunkt seiner politischen Tätigkeit nach 1945 hatte, als er das Amt eines Staatsbeauftragten für das von den Russen besetzte Mühlviertel bekleidete und später Landeshauptmannstellvertreter wurde. Wir bringen Auszüge aus diesem Buch.

Anfang Mai 1919 veranstalteten wir in Lasberg ein großes Heimkehrertreffen. Ich glaube kaum, daß Lasberg je mehr Leute gesehen hat als damals. Der ganze Platz war mit Heimkehrefh voll, auf den Gehsteigen, an den “Fenstern und in allen Stuben drängten sich die Leute. Bis St. Georgen und darüber hinaus waren die Vereine gekommen, und zwölf Musikkapellen spielten.

Ich wurde bestimmt, die Festrede zu halten. Diese Rede, wohlgesetzt, habe ich auswendig gelernt Vor mir saßen die Herren der Gemeindevertretung, durchaus ältere Männer, mit dem Bürgermeister.

Zunächst dankte ich diesen Männern in warmen Worten für ihren Patriotismus und für die Opfer, die sie brachten, um unser Los an der Front zu erleichtern. Ferner dankte ich für die Obsorge, die sie den Angehörigen der Frontsoldaten und Gefallenen angedeihen ließen. Ich sah, wie einem eilten, aber hartgeeichten Funktionär die Tränen über die Wangen rollten. Das hat mich so irritiert, daß mir der Faden riß und ich glaubte, mich in den Boden verkriechen zu müssen.

Zum1 Glück sprach ich langsam, und nach dem letzten Wort des Satzes war der Faden wieder da, ohne daß jemand die peinliche Situation merken konnte, in der ich mich befand. Nie mehr in meinem Leben hab ich eine Rede nochmals auswendig gelernt.

Dr. Seipel als Obmann der Christlichsozialen saß, selbst schon schwer erkrankt, mit vierzig Grad Fieber am Verhandlungstisch. Dr. Seipel nützte die Gelegenheit und richtete an den führenden Sozial demokraten Dr. Bauer den flammenden Appell, er möge doch mit seiner Partei angesichts der Wirtschaftskrise, der großen Arbeitslosigkeit und der rapid zunehmenden nationalsozialistischen Propaganda von Deutschland her in die Regierung eintreten und die Mitverantwortung für den österreichischen Staat übernehmen, damit die Gefahren, die Österreich drohten, gebannt werden könnten. Seipel bot den Sozialdemokraten vier Sitze in der Regierung an, während er sich für die Christlichsozialen mit drei Sitzen begnügt hätte.

Dr. Bauer erwiderte: „Herr Prälat, ich sehe ein, daß die Regierung in bezug auf die Anleihe gar nicht anders handeln kann, aber wir werden gegen die Vorlage stimmen, im Hause und in den Versammlungen dagegen reden und in den Zeitungen dagegen schreiben. Mitverantwortung übernehmen? Das kommt für uns gar nicht in Frage. Wir nehmen für uns das Recht der Opposition in Anspruch, die Regierung soll nur schauen, wie sie aus den Schwierigkeiten herauskommt.”

Für mich jungen Idealisten, der ich eine hohe Meinung von der Volksvertretung habe, weil mir klar war, daß auf der Ebene der Politik Beschlüsse gefaßt werden, die für das Zusammenleben und für die Zukunft der Staatsbürger entscheidend sind, war die Antwort Dr. Bauers so enttäuschend, daß es mir kalt über den Rücken lief.

Nicht nur die Russen, auch die Amerikaner, deren Verhältnis zu den Russen immer schlechter wurde, sperrten die Ausfuhr lebenswichtiger Produkte und Waren. Es gab keinen Handel, keinen Tausch über die Donau.

Beim Weißengruper in Punken- hof baten sie mich einmal, ob ich ihnen denn nicht gelegentlich zwei Ferkel verschaffen könnte. Ich als Taufpate ihrer Kinder konnte natürlich nicht nein sagen. Bald darauf befand ich mich mit Direktor Kern auf einer Genossenschaftsversammlung im Innviertel. Anschließend besuchten wir die Witwe des seinerzeitigen Vizepräsidenten der Landwirtschafts kammer: Sie ließ uns in den Stall schauen, und so sah ich, daß sie einige Würfe Ferkel hatte. Sie verkaufte mir gern für den genannten Zweck zwei Stück. Wir legten sie in den Kofferraum, der von innen unter dem Autositz zu öffnen war.

Die Ferkel waren bis Linz sehr brav. Dann aber sagte mein Fahrer, wir müßten zu einem bekannten Eisenbahner namens Spiral, bei dem ich anfangs öfter nächtigte. Der Fahrer wollte dort die Ferkel mit Benzin überspritzen, damit die Amerikaner die Viecher nicht riechen, denn, so sagte er, die stecken bestimmt ihre Nase in den Wagen. Aber die Ferkel hatten mit dem Parfüm gar keine Freude und fingen daher auf der Landstraße zu schreien an, was sie nur aus dem Hals brachten. Das war zwischen zehn und elf Uhr nachts, eine Zeit, wo keine Autos mehr fuhren, also ganz stilL Doch kamen da die Menschen in Scharen gerade vom Theater und von den Kinos gegangen, und die meisten Linzer kannten meinen Wagen mit der Nummer 7 als den des Staatsbeauftragten.

„Steig aufs Gas und fahr!” sagte ich zum Fahrer. Bald war die Brücke mit den amerikanischen Posten in Sicht „Was tun?” fragte Vitus. „Links abbiegen!”

Bis zur Anschlußmauer kamen wir, ehe sich die Biester beruhigt hatten. Wir fuhren zurück, vor der Brücke jedoch stieg ich aus. Zu Vitus sagte ich: „Ich laß mich von den Amerikanern nicht gern abführen-, und du redest dich halt auf einen Befehl von mir aus.”

Aber - es glückte!

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