7010860-1988_07_20.jpg
Digital In Arbeit

Leserdämmerung

Werbung
Werbung
Werbung

Eine Zeitlang wird's noch so gehen wie mit dem Wald, der steht ja auch noch da, und die Unaufmerksamen, die durch ihn gehen, halten ihn für lebendig und für existent. In Wirklichkeit ist's ein Potemkinsches Dorf, fast wie die Burgtheaterkulisse zum Sommernachtstraum, Pappbäume dort, und echte Bäume da, nur aber tot, ihre eigenen Attrappen, hier und dort noch ein Trieb, eine Blüte, ein Blatterl.

So, meine ich, ist's mit den Leuten bestellt, die Bücher lesen. In den Buchmessen, in den Buchhandlungen, in den Verlagen, in den Stuben der Dichter tut man noch so, als gäb's jede Menge Leser.

Und man hat ja Beweise dafür. Absatzziffern der Verlage, Umsatzziffern der Sortimenter, Einsatzziffern der Werbeleute. Und weü wir schon bei den Sätzen sind — auch die guten Vorsätze der Lehrer. Jener nämlich, die die Kinder das Lesen lehren. Da aber muß irgendein böser Geist obwalten, denn dem guten Willen dieser Erzieher ist das schlechte Resultat entgegenzusetzen. Untersuchungen und auch ganz unwissenschaftliche Beobachtungen ha-ben's ergeben, ein ganzer Haufen der Kindlein besteht demnach aus Analphabeten.

Antialphabetiker, hat mir einmal einer von ihnen wörtlich gesagt, seien nicht die schlimmsten, sie können keine Belege fälschen, keine bösen Transparente anfertigen, keine irreleitenden Schriften in sich aufnehmen und keine verführerischen Slogans zu Papier bringen.

Daß ich nicht lache. Sie können nämlich auch nicht den Heine lesen und den Brecht, das Mühlrad stäubt Diamanten, ich höre sein fernes Gesumm, ist's nur noch eine Nacht, will ich noch bleiben, das ist Lebensqualität. Sie können sich auch nicht warnen lassen vor Bösem, und solches steht geschrieben im Talmud und bei Lukas und im Koran und im Buch vom Tao, die Bauernregeln vom Medarditag, an dem's nicht regnen sollte, bleiben ihnen verborgen, ja nicht einmal die Warnimg, Unbefugten sei der Zutritt verboten oder die Gebrauchsanweisung von der Erdäpfelpüreepackung können sie sich nahebringen, sie sind auf die photographischen Abbildungen der beinhebenden Krankls und Charells angewiesen und auf Ohrenbläser, denn hören können sie ja. Und dann vernehmen sie, daß diese eh nicht so schlimm, jenes ganz großartig und manch anderes besonders erlogen oder gefährlich sei, und das Weltbüd wird sehr eigenartig, verschoben und lastig.

Wenn das so weitergeht und die lieben Parteien bei den Wahlen im Jahr 2088 nicht mehr ihre drei Buchstaben vor das Ringerl setzen können, in das die Wähler ihr Kreuzerl zeichnen sollen, sondern statt dessen Bildchen abkonterfeien zum besseren Verständnis für die Antibuchstabierer, ein Manderl mit langer Nase die eine Partei oder ein Weiberl mit großen Augen die andere oder aber auch ein Paar Ski oder ein Auto, dann ist das noch nicht so schlimm.

Arg wird's erst, wenn die Krista Fleischmann in ihrer Buch-Sendung im Fernsehen mit zwanzig Verlegern und achtzig Autoren auftritt und dem letzten Leser vor dem Bildschirm die geistigen Erzeugnisse der vergangenen drei Monate vorstellt.

Denn das weiß man ja von den fetten Dackeln und Möpsen, daß sie ihr verwöhntes Dasein einmal mit dem Leben bezahlen, vor Uberfütterung wird also gewarnt, und dem letzten Leser könnte statt des Bauchs der Kopf zerplatzen, was rechtzeitige Diät bedeutet, sprich Abstinenz von allzuviel Buchstäblichem, und Hinwendung zu Comics und Cartoons, päng, ächz, wunder, schnarch.

Welch ein Büd. Ein Heer von freigesetzten Schriftstellern und Büchermachern, Brot suchend und findend im Musikantenstadl, und weinlesend vor der Kamera mit dem Publikum vor dem Büd-schirm in einen gemeinsamen Abend schunkelnd.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung