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Lieber Achim!

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Die' Sommerhitze dröhnt endlich in den Straßen, wir gehen über schmelzenden Asphalt ins Theater, die Abschiedsfeiern, die A bschieds-geschenke und die Abschiedsgespräche mit Dir und an Dich reihen sich aneinander, ein paar ,Neue“ probieren schon mit uns in diesen letzten Tagen Deiner Direktionszeit, und ich bin froh, daß ich schon auf der Autobahn in Richtung Deutschland sein werde, wenn in den letzten Kollegenzusammenkünften mit Dir sich echte und unechte Trauergefühlskundge bungen sommerabendlich mit dem Heurigen mischen.

Ich möchte mich von Dir nicht- verabschieden. Da ich einen wirklichen Abschied von Dir nicht nehmen will und nicht nehmen muß — weil Du ja „nur“ als mein Direktor Deinen Abschied nimmst —, können wir das A bschiednehmen genausogut sein lassen.

Seit dem Nachmittag auf der Wiese hinter dem Reinhardt-Seminar, an dem Du zum erstenmal versucht hast, eine Komikerin aus mir zu machen, sind noch nicht ganz dreißig Jahre vergangen, und wenn uns damals jemand vorausgesagt hätte, daß Du einmal „mein“ Burgtheaterdirektor werden würdest und ich .Deine“ Kammerschauspielerin mit Aussicht auf Staatspensionierung - ich glaube, wir hätten die Probe abgebrochen und wären auf „ein Vierterl mit Gelächter“ gegangen.

Wir kennen uns also ein Menschenalter lang, und zehn Jahre dieses Menschenalters haben wir miteinander gelebt. Ich nenne das Miteinanderleben, wenn man sich über einen so langen Zeitraum an ein und demselben Theater mit dem Theater herumschlägt.

Wir haben Strindberg und Feydeau miteinander „gemacht“ und Gorki und all die anderen Schlachten dazwischen. Du haßt Sentimentalität, ich fürchte sie, beide haben wir sie also, und beide können wir sie inzwischen ziemlich genau definieren.

,Nur die Wut nicht verlieren“ war oft Dein Premierengruß an mich. Erfreulicherweise waren wir öfter miteinander auf etwas wütend als aufeinander.

Wenn ich in diesen letzten Tagen Deiner Direktionszeit die heitere Erleichterung auf Deinem Gesicht merke und die — fast — wienerische Ironie spüre, mit der Du Deine Verletzungen schon wieder behandeln kannst, dann überkommen mich direkt Anwandlungen von Hoffnung, daß man diesen mörderischen und selbstmörderischen Posten auch ohne seelische Vollinvalidität überleben kann.

Du hast überlebt und die Wut nicht verloren. Dazu möchte ich Dir gratulieren. Nicht mich verabschieden.

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