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Lob des Fernsehens

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Jede Fernsehantenne auf der Fahrt durch die Vorstädte und Dörfer läßt mich jubeln. Jedes Kino, das in einen Supermarkt oder eine Bankfiliale verwandelt wird, läßt mich jauchzen, obwohl ich die Bankfilialen-Uberdosis unserer Tage nicht goutiere.

Aber mehr Bankfilialen tun nicht weh. Kinos tun weh, vor allem im Dorf, in der Kleinstadt, in der Vorstadt. Es gibt ganz wenige Filme, die es geben darf. Und die werden dort draußen nicht gespielt.

Das Fernsehen ist natürlich nicht gut. Aber was ist denn, bitte, gut? Die Zeitungen vielleicht? Das Parlament vielleicht, die Beamten?

Das Fernsehen ist das beste notwendige Übel unserer Zeit. Es bezieht mich in das Zeitgeschehen ein, wie ich vorher nie einbezogen worden bin. Es überschwemmt mich mit öder Unterhaltung, aber die ist immerhin noch ein bis zwei Treppen höher situiert als die meiste öde Unterhaltung der meisten Filme. Es bringt Opern und Konzerte dorthin, wo sie unbekannt waren.

Es bringt Dramatiker in die Wohnzimmer. Shakespeare, Kleist, Moliere, Nestroy, Ibsen, Büchner.Schnitzler. Relativ original, nicht verkitscht und verpatzt wie im Film. Und wenn auch nur zehn Prozent zusehen, sind sie zehnmal mehr als die Theaterbesucher des Landes.

Auch ich ärgere mich oft über das Fernsehen, wie ich mich über die Partei ärgere, die ich wähle, wie ich mich über meine Heimat ärgere, die ich liebe, wie ich mich über die Freunde ärgere, die ich mir ausgesucht habe.

Aber ich habe ein Mittel gegen den Ärger, den mir das Fernsehen bereitet, entdeckt.

Man kann abdrehen.

Man verlangt vom Fernsehen für ein paar Groschen pro Stunde, daß es von nach Tisch bis vor Mitternacht genau das bietet, was man geboten zu bekommen wünscht, auch in der Zeit, in der man es nicht angedreht hat. Jeder will etwas anderes bekommen, und alle sagen sie: Das Programm ist schlecht!

Wenn ich etwas nicht sehen will, schaue ich nicht hin. Und wenn ich nicht lesen, Radio hören, mich mit den Meinen unterhalten will, kann ich ja Platten auflegen.

Das Mißverständnis ist: daß jeder glaubt, er müsse jeden Abend.

Er muß nicht. Er kann. Wenn er will. Er bekommt das Äquivalent von etwa zwei Theaterbesuchen, einem Opernbesuch, zwei Konzerten, zweieinhalb Dutzend Tageszeitungen, etlichen Kulturfilmen, etlichen (einigermaßen gut ausgewählten) Spielfilmen, vier Wildwestfilmen, zwei Kriminalfilmen, vier Un-

terhaltungsabenden und vielem anderem für den Gegenwert einer Taxifahrt in das und aus dem Theater.

Der Fernsehteilnehmer, der schimpft, erinnert mich an den Heiratskandidaten der Anekdote. Er wollte sich für die Braut erst entscheiden, nachdem er eine Nacht mit ihr verbracht hatte.

Die Bedingung wurde schließlich akzeptiert. „Na?" fragte man ihn am nächsten Morgen. „Heiraten Sie sie?" „Nein!" „Warum?" „Die Nase gefällt mir nicht."

Man sieht eine Volksmusiksendung. Man hat für Volksmusik nichts übrig. Im andern Programm redet einer, den

man nicht mag, über Zukunftsforschung.

Fünfzig Minuten lang bietet einem der Apparat nichts von dem, was man gern hat.

Und man ruft: Das Fernsehprogramm wird in letzter Zeit immer ärger!

Man hat mit dem Fernsehen eine Nacht verbracht. Und sagt anschließend: Von achtzehn Uhr zehn bis neunzehn Uhr war das Programm elend -die Nase gefällt mir nicht!

Leseprobe aus dem Ende August erscheinenden Artemis-Band von Hans Weigel: „Große Mücken, kleine Elefanten" (vierzig Plädoyers für das Feuilleton).

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Karikatur: Nebelspalter

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