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Marksteine der Glaskunst

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Das österreichische Museum für angewandte Kunst wurde gemäß seiner Widmung „das heimische Kunstgewerbe zu fördern und den Geschmack zu bilden“ schon zur Zeit der österreichisch-ungarischen Monarchie zum Sammelzentrum der österreichischen Kunstindustrie. Das galt insbesondere auch für die Glasproduktion, die in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts in Böhmen, Mähren und Schlesien einen bedeutenden Aufschwung genommen hatte. Durch Ankauf und Widmung gelangten ihre besten Stücke in den Besitz des Museums, in dessen Sammlung als höchster Instanz vertreten zu sein für die einzelnen Firmen als besondere Ehre und Vorzug galt. So entstand eine der größten Glassammlungen auch des Jugendstils, mit vollkommen gesicherten Herkunftszeugnissen, deren Schätze erst jetzt, dank der Unterstützung durch die Fritz-Thys-sen.-Stiftung, gesichtet und bearbeitet werden konnten und zum Teil nun, in einer hervorragenden und überraschenden ersten Ausstellung, im Säulenhof des Museums am Stubenring zu sehen sind.

Uberraschend nicht nur deshalb weil sie neue wissenschaftliche Erkenntnisse bringt — wie die Priorität der Produktion von perlmutterschimmernden Irisgläsern vor Tiffany für Österreich —, sondern weil sie mit aller Deutlichkeit den unerhörten Reichtum, die handwerkliche Höhe und den sicheren Geschmack der österreichischen Leistungen dokumentiert. Das gilt sehr wohl im Vergleich mit den ausgestellten Beispielen berühmter ausländischer Glaskünstler des Jugendstils, wie jenen von Schneckendorf, von Lalique, Galle (von dem eine besonders schöne gelb-weiße Vase zu sehen ist) oder Tiffany, dessen

Schlangenhals-Vasen an Faszination verlieren, wenn man ihre Vorbilder aus dem Nahen Osten des 16. Jahrhunderts kennt. Die bei Johann hoetz' Witwe entstandenen Arbeiten allein schon sind geeignet, ihnen pari zu bieten, und man braucht dabei gar nicht an die großen abstrusen Wandleuchten zu denken, die bereits die „free-form“ mancher heutiger Plastikprodukte vorwegnehmen.

Dabei sind es keineswegs die Arbeiten bekannter und berühmter Entwerfer wie die von Josef Hoffmann, Michael Powolny, Kolo Moser und Otto Prutscher, die besonders hervorstechen und begeistern, es sind ganze Werksgruppen von Firmen, Ateliers und Schulen — wie die der Fachschule von Haida mit ihren Rubingläsern mit dem Ätzdekor, die Rubin-Weißen und Blau-Weißen zum Teil schlanken Gläser des Ateliers Artel in Prag, deren strenge Geometrie bereits das

Bauhaus ahnen läßt, die herrlichen, nahezu klassischen Arbeiten des Ateliers Lobmeyer, mit ihrem schwarzen und goldenen Dekor oder die eleganten Stielgläser von Meyfs Neffe in Adolf bei Winterberg, die Ätzgläser von Karl Schappel in Haida und die farbigen von Johann Oertel und Co. ebenfalls aus Haida.

Sogar von der Wiener Kunstgewerbeschule ist ein originelles Bierglas mit Krug zu sehen. Die Fülle und der Reichtum der Formen läßt sich bei eindeutiger Bestimmtheit durch die Zeit keineswegs ganz — nur zu einem Teil — dem begrenzten Eklektizismus des Jugenstils zuordnen und wirft damit einige längst fällige Probleme weiterer Differenzierung auf. Man wird nicht fehlgehen wenn man diese Ausstellung „Das Glas des Jugendstils“ im Museum für angewandte Kunst, die bis zum 20. Jänner 1974 zu sehen sein wird, als einen Markstein und Ansatz zu historischen Klärungen und Neubewertungen bezeichnet.

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