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Mauer gefragt

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Telefon läutet. „Antiquitäten Zeitgeistinger... Selbstverständlich, da haben wir einige besonders schöne, ausgesuchte Stücke. Hätten Sie sich da etwas Größeres, vielleicht für Ihren Garten vorgestellt? Oder für den Salon?... Ach so, ich verstehe, für das Entree, ziemlich hoch. Da werden wir sicher etwas Passendes finden. Mit regelmäßigen Abwitte-rungsspuren. Aber freilich. Auch Stacheldraht? Angerostet. Wie meinen Sie, ganz authentisch, mit Blutspuren? Da muß ich nachsehen. Wir haben uns natürlich die besten Stücke gesichert. Gleich beim Abbruch. Aber, bitte, das war doch vorauszusehen, im November in Berlin. Da muß doch unsereiner zur Stelle sein, so eine Mauer wird nicht alle Tage abgebrochen...

Nein! Expertisen haben wir noch nicht. Ist ja auch momentan noch nicht so notwendig. Aber wir bürgen für Echtheit. Fälschungen? Freilich, später wäre das schon möglich. Die Nachfrage ist ja enorm.

Wer hätte das auch gedacht! Wir haben schon überlegt, ob wir in kleinen Stücken verkaufen sollen. Aber das hat ja keinen Sinn. Was wir wollen, das ist wirkliche Liebhaberbedienen, Kenner, Menschen, die das Historische begreifen, großzügige Kunden. Bitte, was soll denn das, eip kleinlicher Kult, vielleicht bloß ein kleines Mauerstück in Kunstharz gegossen. Wir können es nicht verhindern, das kommt noch. Aber wer soll denn da die Dimensionen begreifen?

Nein, wir liefern Ihnen gerne etwas Anständiges... Soll zur Weihnachtsparty schon fertig aufgestellt sein? Ja, mit Tieflader. Da haben wir unsere Spezialisten. Und unseren Architekten. Der baut Ihnen das ein. Hinter Glas, meinen Sie? Sicher, es geht auch um die Konservierung. Den ursprünglichen Zustand erhalten. Ja, auch wegen der Versicherung. Was Sie auslegen müssen? Da werden wir uns schon einig werden. Wie, Sie wollen deswegen den Auftrag für Sotheby zurückziehen. Ja, da kann ich Ihren Überlegungen schon folgen. Flämische Teppiche gibt es nächstes Jahr auch noch. Aber so ein ordentliches Stück Original-Mauer! Ja, da kann ich Ihren Prioritäten schon folgen. Ob die Mauer nicht doch preiswerterwäre! Mein lieber Herr, sie ahnen gar nicht, wie eng in dieser Saison der Markt schon geworden ist.

Heuer ist überall Mauer gefragt. Wir können gar nicht genug Mauer liefern. Die besten Stücke sind ohnehin schon weg. Wie gesagt, wir haben uns eingedeckt, für unsere guten Kunden haben wir noch einige Meter reserviert. Aber Sie müssen sich schnell entscheiden. Kommt auf den Preis an? Mein Lieber, für Mauer wird heute fast schon jeder Preis bezahlt. Tausend pro Zentimeter, so in der Größenordnung, kommt ganz auf den Zustand an. Kommen Sie doch heute noch vorbei. Sie werden staunen...“

Anton Kuh sandte dem Berliner Querschnitt unter eigenem Namen eine alte Humoreske von Friedeil. Als die Geschichte erschienen war, schrieb Egon Friedell an den Plagiator: „Sehr geschätzter Herr Anton Kuh, mit Vergnügen sehe ich, daß Sie meine Plauderei .Kaiser Josef und die Prostituierte' in unveränderter Wiedergabe, nur mit der Abänderung der drei kleinen Worte: ,von Anton Kuh', publiziert haben.

Es ehrt mich, daß Ihre Wahl gerade auf mein bescheidenes, anspruchsloses Histörchen gefallen ist, da Ihnen doch die gesamte Weltliteratur seit Homer zur Verfügung stand.

Ich hätte mich auch gerne revanchiert, doch nach Durchsicht Ihres gesamtes CEuvres fand ich nichts, worunter ich meinen Namen setzen möchte.. “

Über das Wiener Kaffeehaus als literarische Anstalt wäre noch manches zu sagen; daß eine große Tradition verpflichtet, hat aber wohl niemand deutlicher empfunden als der kleine Oberkellner Otto vom Cafe Kammerspiele. Während des Staatsbesuches des englischen Königspaares in Wien schüttete er Fritz Muliar sein Herz aus:

„Wir sind schon ein scheußliches Kaffeehaus, Herr Muliar...Nicht einmal jetzt haben wir englische Zeitungen. Stell'n Sie sich die Blamage vor, wenn die Queen hereinkommt und sagt:, Herr Otto, bringen S' mir die Times, please!'“

Aus: SCHADE NUR, DASS ICH LESEN KANN. Von Hermann Schreiber. Paul Neff Verlag, Wien 1989.206 Seiten, öS 115,-.

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