6844629-1976_12_09.jpg
Digital In Arbeit

Nur lauter leere Lippenbekenntnisse

Werbung
Werbung
Werbung

Bozen besitzt mit seinen 100.000 Einwohnern und mit mehr als einem halben Dutzend wesentlicher und lebensfähiger Galerien mehr Voraussetzungen für ein reges Kunstleben, als das gleich große Innsbruck und eine Bevölkerung, die ein lebendiges künstlerisches Interesse zeigt, mehr als man es in Österreich gewohnt ist, ein nicht nur schauendes, sondern auch kaufendes Publikum. Dazu kommt, daß einige der Bozener Galerien nicht nur. engste Verbindungen mit der heutigen Kunstmetropole Italiens, mit Mailand, besitzen, sondern auch mit dem Ausland, ein Umstand der für Abwechslung in den Ausstellungsprogrammen bürgt. In den letzten Jahren waren so etwa von österreichischen Künstlern hier in Südtirol Kollektiven von Hrdlicka, Frohner und Ernst Fuchs zu sehen, und der gebürtige Südtiroler Paul Flora ist jedes Jahr im ganzen Land mit mehreren Ausstellungen vertreten. Me-ran hat bereits vor einigen Jahren, lange vor Wien, eine wesentliche Schau mit Graphiken von Otto Dix gezeigt, während diesen Februar, in der Bozener Lionardo-Galerie, der deutsche Neomanierist Paul Wunderlich mit Druckgraphiken debütierte.

Die Goethe-Galerie zeigt Bilder des in Rom lebenden Amerikaners Robert Carroll, den man, mit seinen aufgebrochenen Stadtlandschaften in deren Kompartimenten Menschen sichtbar werden, als Vertreter eines neuen magischen Realismus bezeichnen kann, und der im Zusammenhang mit den Mailänder Malern Guerreschi, Romagnoni und Ferroni und den Römern Vespigniani und Attardi genannt wird. In der Galerie „Les Chances de l'Art“ stellte gleichzeitig der venezianische Bild-

hauer Giuseppe Romanelli Arbeiten in den verschiedensten Materialien aus, in denen menschliche Figuren phantasievoll miteinander verschmolzen und verbunden werden, weniger rundplastisch als reliefhaft, mit Grazie und Eleganz — sogar mit Witz und Humor — behandelt sind.

Die vielleicht interessanteste Ausstellung schließlich war den Südtiroler Bildhauern des Südtiroler Künstlerbundes gewidmet und in der Dominikanergalerie zu sehen. Hier konnte man einen Überblick über die vorherrschenden Begabungen und Tendenzen der heutigen Südtiroler Plastik gewinnen, die vom Realismus bis zur Abstraktion reichen und von so profilierten Künstlern, wie von der aus Mähren stammenden Gina Klaber-Thusek, Martin Rainer, Guido Dauro, David Moroder und Heinrich Moroder-Doss und Guido Mosna vertreten werden. Die Ausstellung ergab ein durchaus beachtliches und erfreuliches Bild künstlerischer Aktivität, die um so höher einzuschätzen ist, wenn man die Umstände in Erwägung zieht, unter denen vielfach die Bildhauer hier arbeiten. Es mangelt nicht nur an Ateliers, an Raum und Arbeitsmöglichkeiten, sondern vor allem an öffentlichen Aufträgen, obwohl ein Gesetz, wie in Österreich, einen bestimmten Prozentsatz der Bausumme für die künstlerische Ausschmückung vorsieht. Hier wie dort läßt die mangelnde Rücksichtnahme und Aufgeschlossenheit der sogenannten öffentlichen Hand und der Architekten die so oft beredete Vision vom Gesamtkunstwerk am Bau und von der Zusammenarbeit der Künstler, allen Beschlüssen der CIAM zum Trotz, nur leeres Lippenbekenntnis bleiben.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung