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Nur so am Rand

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Mein Stichwort

„Sie haben freie Themenwahl, freie Zeilenwahl, schreiben Sie, nur bitte pünktlich abliefern.“

Eine bündig-freundliche Einladung der Kulturredaktion, zum ersten Mal ausgesprochen an einem dunklen Herbstnachmittag bei einem Glas Wein und wiederholt nach einem arbeitsreichen Abend in Sachen Kultur, als in den Straßen schon der Schnee schmutzstarrte und ich die Einladung fast vergessen hatte. Sie scheint ernst gemeint zu sein, ich nehme an, verspreche pünktliches Abliefern, finde mich beneidenswert, weiß hundertfünfzigprozentig, daß der Himmel voller Themen hängt und bin entlassen in den rauschhaft-quälenden Zustand des Alleinseins mit einem unbeschriebenen Blatt Papier.

Wenn abends auf der Bühne mein Stichwort fällt, muß ich reden. Stich-Wort ist ein Wort, das sticht, genug sticht, um Antwort zu bekommen, ich will mir also dieses Wort, das mich zum Schreiben stechen soll, suchen oder mich von ihm finden lassen, ein Wort, ein Zustand, ein Ereignis, eine Frage, eine Angst, eine Lächerlichkeit, die genug sticht, um weh zu tun, so weh zu tun, daß ich darüber schreiben muß, sonst laß ich es lieber. Auch Freude kann ja genug wehtun, auch Vorfreude... da ist es ja schon, das Stichwort. Vorfreude. Vorfreude auf Weihnachten.

Jetzt, im Niemandsland zwischen Weihnachten und Neujahr, läßt sich's leichter zurückdenken. Es muß um den 21. Dezember gewesen sein, auf der Verkehrsinsel vor dem Burgtheater bin ich gestanden, der schneelose Christkindlmarkt dort plärrt Weihnachtslieder herüber, die eiernde Platte mit „Es ist ein Reis entsprungen“ schickt über ohrenbeleidigende Lautsprecher Schallwellen herüber, die sehr ehrwürdige Fassade des Burgtheaters wirft den Krach pflichtschuldigst zurück. Dreck spritzt, ganze Familien essen Pommes frites und Maroni, als bekämen sie zu Hause nichts zu essen, es ist zutiefst stimmungsvoll, ich habe die Generalprobe von „Emilia Galotti“ eben hinter mir, bin hundemüde und entscheide mich für die Straßenbahn und gegen ein Taxi nach Hause und merke plötzlich, daß ich mich vorfreue. Auf Weihnachten.

Das darf ja nicht wahr sein! Seit den großen, von meinem Vater inszenierten, barock-burlesken Weihnachtsfesten meiner Kinderzeit war's mit der Vorfreude auf Weihnachten nicht mehr allzu weit her, alle Nachahmungsversuche der Festspiele in der Himmelstraße 24 scheiterten irgendwie - ob nur in meiner Einbildung oder in Wahrheit ist unerheblich -, irgendwie knirschte nie mehr der Schnee zur rechten Zeit, später, schon beim Theater, hatte man anscheinend immer Proben in der Vorweihnachtszeit, fand, daß die Weihnachtsdekorationen in den Auslagen schon zur Zeit der Erntedankfeste aufzuscheinen begannen, stöhnte willig mit der Hektik mit, schwor jedes Jahr, es nächstes Jahr ganz anders zu machen, hörte sich die beredten Anti-Weihnachtsfestreden der emanzipierten Kollegen an, kam sich komisch vor, wenn man noch Weihnachtskarten schrieb und hielt eisern daran fest, daß es Christi Geburt sei, die im Zentrum dieses ganzen mörderischen Wirbels zu stehen habe.

Bitte, warum freue ich mich also, drei Tage vor Weihnachten 1978, auf der Verkehrsinsel vor dem Burgtheater? Mir sind schon zwei Straßenbahnen davongefahren, ich glaub', ich hab' nasse Füße. Antwort: Ich freue mich einfach, ich freue mich nach links und nach rechts, ich freue mich in mir drin und über mich hinaus, ich kann's noch, ich hab's noch nicht verlernt, ich freue mich einfach vor mich hin, die Gründe sind gleichgültig, die werden mir schon später einfallen, ganz, ganz wichtig ist: ich freue mich, wer will mir noch etwas schenken, das dieses Geschenk übertrifft?

Ich möchte es nur im neuen Jahr 1979 auch noch können.

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