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Operettenputsch

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Die Politik der Steiermark wird vielfach durch Jahrhunderte von einer tiefen Abneigung gegen Wien beherrscht. Es soll hier nicht auf die Ursachen dieses Grolls eingegangen werden, sondern nur auf dessen Existenz und auf die seltsamen Folgen, die dieser Groll oft in der Geschichte nach sich zog: denn immer wieder versuchten die Mächtigen der Steiermark das verhaßte Wien zu erobern, um dann von hier nicht nur die Geschicke der Steiermark, sondern auch des übrigen Österreich zu lenken. Aber dieser „Marsch nach Wien“ gelang nur einem einzigen steirischen Staatsmann: Herzog Ferdinand, der 1619 nicht nur Erzherzog von Ober- und Niederösterreich und damit Herr von Wien wurde, sondern auch die Römische Kaiserkrone gewann. Alle anderen Versuche blieben irgendwie „stecken“: so zum Beispiel der Versuch Friedrichs III., als Herzog der Steiermark der Fünfte, der nur bis Wiener Neustadt kam. Der bekannte

Landeshauptmann Rintelen gelangte zwar 1934 bis Wien, aber im Hotel Imperial, wo er logierte, mußte er erkennen, daß sein Versuch, Wien zu erobern, gescheitert war. Auch die Politik des so talentierten, leider zu früh verstorbenen Landeshauptmanns Krainer hatte manchmal Züge eines „Marsches nach Wien“, der allerdings auch nie zum Tragen kam.

Einer der seltsamsten Versuche, sich Wiens zu bemächtigen, war der Putsch des steirischen Heimatschutzführers Walter Pfrimer im Jahr 1930. Dieser Marsch nach Wien blieb schon am Semmering stecken und war infolge der Toleranz des steirischen Landeshauptmannes, des österreichischen Bundesheeres, aber auch der Sozialdemokratie fast unblutig und blieb in der Erinnerung ;nur als eine Art Operettenputsch zurück.

Ein amerikanischer Historiker namens Pauley hat nun eine grundsätzliche Studie über diesen Putsch verfaßt und um diesen herum die Geschichte des steirischen Heimat-Schutzes geschildert und so einen wesentlichen Beitrag zur Aufhellung der Geschichte der Ersten Republik geleistet. Dieser Heimatschutz war ' ein rechtsradikales Sonderkapitel der paramilitärischen Organisationen, die das Österreich der Ersten Republik so nachhaltig — und nicht zum Segen des Landes — beherrschten. Der steirische Heimatschutz war insofern ein Sonderkapitel, als er nicht nur extrem antisozialistisch und antidemokratisch eingestellt war, sondern auch extrem großdeutsch, während viele andere Heimatschutzgruppen sehr betont österreichisch dachten. Bei dieser Einstellung des steirischen Heimatschutzes ist es nicht verwunderlich, daß sein Weg vier Jahre vor dem Anschluß Österreichs an Deutschland schon zum Anschluß an Hitlers Partei führte.

Der amerikanische Historiker Pauley, der dieses Buch verfaßte, liefert nur neuerlich den Beweis, welch großes Interesse Österreich heute bei den amerikanischen Historikern findet. Dazu hat gewiß die große Emigration von österreichi-chischen und deutschen Historikern nach den USA, die 1933 einsetzte, viel beigetragen. Diese Historiker lenkten eben das Interesse ihrer Studenten auf österreichische Themen, und zwar sowohl der Monarchie, wie auch der Republik. Bei all diesen Historikern ist immer erstaunlich, welch genaue Sachkenntnis und welche genaue Literaturkenntnis sie besitzen. Allerdings genießen diese Historiker auch eine weit höhere materielle Unterstützung für ihre historischen Studien als dies Österreich seinen Historikern zu bieten vermag. Dies mag ein weiterer Grund dafür sein, daß die amerikanische Geschichtsschreibung über Österreich jetzt so erfolgreich ist.

HAHNENSCHWANZ UND HAKENKREUZ. Steirischer Heimatschutz und österreichischer Nationalsozialismus 1918 bis 1934. Von Bruce F. PAULEY. Europa-Verlag, Wien. 243 Seiten.

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