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Ordnung muß auf Frieden aufbauen

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Gott ist kein Gott der Unordnung, sondern des Friedens“ ((1K 14,33). Es fällt mir auf, daß das Gegensatzpaar im Neuen Testament nicht Unbrd-nung-Ordnung, sondern Unordnung-Frieden heißt! Nun soll zweifellos die Kirche eine geordnete Gemeinschaft sein.

Was aber faktisch feststeht, ist, daß es allerhand Durcheinander gibt: das Durcheinander der Stile, der Organisationen, der Theologien, der Strukturen, der Liturgien, der Meinungen, ja auch das Durcheinander der Ämter...

Und es gibt selbstverständlich auch den Ruf nach Ordnung, nach „Durchgreifen“ und „Aufräumen“, nach „Abschaffen“ (des ieweilieen Gegners), es gibt die Schublade für die „anderen“ (die „Linken“ oder die „Reaktionäre“), und es gibt viel Angst.

Dem allem gegenüber stehen die scheinbar erdrük-kenden Aufgaben für die Christen: die Not der Vielen (vor der Haustür genauso wie in der Dritten Welt), der Wahnsinn der unaufhörlichen Aufrüstung, die Ungerechtigkeiten gesellschaftlicher Strukturen, die Rücksichtslosigkeit der Mächtigen und die Ohnmacht der Unterdrückten.

Wie soll das alles zusammengehen? Ich plädiere für Gelassenheit aus dem Glauben. Diese Welt, die uns zu“ kultivieren aufgetragen ist, ist zugleich die Welt Gottes. Unser alter Pfarrer hat bei Hochzeiten immer gepredigt: „Wenn der Herr das Haus nicht baut, bauen die Bauleute umsonst.“ Ich bin sicher, daß der Herr am Werk ist. Wenn ich (gegen allen Streß) die Augen offenhalten kann, sehe ich Spuren seines Wirkens:

Ich sehe, was sich in ein paar Dutzend Pfarren tut, die vor fünf Jahren noch den Staub des 19. Jahrhunderts aufwirbelten: daß gastfreundliches, brüderliches Miteinander und Füreinander gelebt wird, daß „ganz normale“ Leute da mittun, daß Pfarrer nicht mehr durch selbstmörderischen Aktivismus oder resigniertes Abwinken die Initiativen erwürgen, sondern die Begabungen durch Vertrauen fördern.

Ich sehe, daß es vernünftige und tragfähige Brücken und Begegnungsräume gibt zwischen Frömmigkeit und Tatkraft; daß die Ziele der charismatischen Erneuerung und die Ziele gesellschaftspolitisch engagierter Christen letztlich vereinbar sind: im Glauben an die Würde jedes einzelnen, die er von Gott her hat.

Ich sehe, daß die ökumenische Bewegung weitergeht: nicht mehr wie in den ersten Phasen, in denen (echte) Freundlichkeit und eine gewisse Neugier da waren, sondern in der bescheidenen Bereitschaft, die Geistesgaben der anderen anzunehmen - nicht mehr isolierte

Konfessionsreform, sondern ein gemeinsames aufrichtiges Suchen nach den Spuren Gottes zu unternehmen.

Ich sehe, daß die oft problematische Einstellung von Christen zur Sexualität mehr und mehr einem brüderlichen Klima weicht, in dem Diskriminierung und selbstgerechte Entrüstung durch Hilfe und Ermutigung abgelöst werden - und dies nicht ungeachtet des Anspruchs der Bergpredigt, sondern um gerade aus ihrem Geist zur wahrhaft menschlichen Begegnung und zu einem, am Ende des 20. Jahrhunderts lebbaren Leitbild ehelicher Gemeinschaft zu führen.

Ich sehe schließlich, daß Christen Phantasie entwik-keln, um gesellschaftliche und politische Probleme nicht, durch die Einfallslosigkeit großartiger Gewaltstrategien, sondern aus dem durch und durch gewaltfreien Geist Jesu zu bewältigen.

Frieden: Die Ordnung unter den Christen bewirkt der Geist Jesu - wenn wir ihm Raum geben und ihn nicht auslöschen. Meine egoistischen Vorstellungen von Ordnung stehen hier vor Gericht.

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