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ORF-Wochenende

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Als die letzten Rüster Stör die und die Zugvögel so ganz im allgemeinen nach Süden gereist waren, kehrten die sommersüber oft Vermißten heim, und um die Septembermitte schließlich waren sie alle wieder da, alle, die uns das Jahr über in Hörfunk und Fernsehen die Stunden anzeigen. Die Welt ist, nach einigen Urlaubsabsenzen, wieder heil, an verregneten Wochenenden — und es wird deren viele geben im Herbst und etliche naßkalte im Winter obendrein — weiß man, woran man sich halten, worauf man als ordnungsliebender Österreicher sich verlassen kann.

Denn so ein österreichisches Wochenende beginnt doch recht eigentlich mit dem samstäglichen Fernseh-Restlessen, mit dem „Wochenmagazin", das kunterbunt jene angenehme Nebenbei-Infor- mation bietet, die man gar nicht mehr missen möchte, obgleich und gerade, weil einer an zeitknappen Arbeitstagen kaum dafür die Muße aufbrächte. (Mit einem lustigen Vorspann hebt das an. Warum aber nur, warum lassen die Amis einen ratlos verdatterten Elefanten, dem nicht einmal komisch zumute ist, Wasserski fahren?)

Der Stundenzeiger rückt weiter, dorthin, wo des Sommers die Lücke klaffte. Um 18.50 Uhr pünktlich sagt Heinzi der Tante nun wieder „Guten Abend am Samstag“ und die Tante, die ihn versteht, erhält endlich wieder den Beweis dafür geliefert, daß der Wurschtl doch noch obsiegt und der Teufel letzten Endes der Blödel bleibt, wie einst in den Tagen, da Böhmen noch bei Österreich war. Sie kann, was sie lange nicht konnte, während des folgenden Hauptprogramms entschlummern, da ja die Familie nahezu vollständig zur Wacht sitzt, um am Ende die feschen Indianer im Tal der Geier mit Stimmbruch jodeln hören oder, um zum mitternächtlichen Horror wohlig mit den Zähnen klappern zu können.

Anderntags weckt die Erschöpften aus gähnend und schlaftrunken eingeschalteten Transistoren das vertraute Jammer- und Wackelgeräusch des fahrplanmäßig heimgekehrten „Watschenmanns", denn es ist 9.10 Uhr. Harun-al-Raschid wandert durch die aufgerissenen Straßen Bagdads, Se-ass-Teuferln und Hallelujah-Engis begegnen einander, bedürfen keiner bildlichen Darstellung, erstehen, akustisch geschaut, hinter den halbgeschlossenen Lidern ihrer seit vielen Jahren unentwegten Hörer, entlocken dem grantzemag- ten österreichischen Herzen mißbilligendes Stöhnen und erlösendes Hohngelächter, gewähren Abstiege in Höllenkreise, die nicht von Dante, sondern von Herz- manovsky-Orlando erfunden sind, Aufstiege in Nestroysche Purga- torien, Grillparzerische Rundfahrten durch heimatliche Seelenlandschaften, wobei übrigens die Resultate dieses Verfahrens einer sonntäglichen Beichtvorbereitung nicht unähnlich sind.

Da die Großen der Bühne längst schon mit ihren Düsenterminflügen von Ost nach West und umgekehrt begonnen haben, kann Herr von Karwin um 11 Uhr im Hörfunk nach Rosenkavalier- Trillem entsprechende Fechsung halten und erfährt denn auch von den Befragten bereitwillig, wohin es denn nächstens geht und welche Premiere man dort „machen“ wird. Inzwischen vom Sonntagsgottesdienst heimgekehrte Christen können hier eine gute Viertelsturide weltlicher Anbetung anschließen und den Duft jener maßvoll gestreuten Weihrauchkörner atmen, die sie in nachkonziliaren katholischen Festmessen vermissen. Nach dem mittäglichen Symphoniekonzert, das vom europäischen Festspielsommer zehrt und noch lange davon zehren wird, versäumt man über festlicher VöUerei keineswegs Waldbrunns immer noch unerschöpfliche Reminiszenzen an sein „Geliebtes Theater“ und, etwas früher, vielleicht auch nicht den „Schalldämpfer“, den ö 3 sich um 13.10 Uhr lobenswerterweise zu verschreiben pflegt, oder und vor allem nicht dessen wonniges „Schnulzophon“.

„Lieben Sie Klassik?“ Wir lieben sie, und wir lieben sie besonders in dieser höchst interessanten Präsentation, die Meisterwerke, von verschiedenen Sängern gesungen, von verschiedenen Dirigenten ausgedeutet, mit dem nötigen kommentierten Hinweis auf Charakteristisches versehen, zur Diskussion stellt. Womit Sonntag für Sonntag der Beweis erbracht wird, daß ewig Gültiges nicht „museal“ ist und daß „kulinarisch“ nur bei Barbaren ohne Eßkultur als abwertendes Beiwort gelten kann.

Nach dem „Magazin der Wissenschaft“ aber bietet sich bereits der Anschluß an den Fernsehsonntag. Wie die aufsingende Riesenturbine eines Stauwerks hoch oben in den Bergen, kam unterdessen das Erste Programm auf Touren, setzt das Zweite ein wenig später ein. „Zeit im Bild“ um eine halbe Stunde früher, die mit Spannung erwartete „Frage der Woche“, bei deren vielfältiger Beantwortung man sich oft recht von Herzen auf wahrhaft österreichisch giften kann, „Christ in der Zeit“, das Hauptprogramm und sein Ausklang, die Vorlesung „Aus meiner Bibliothek", derzeit von Helmut Qualtinger mit all dem abgefeimten Genuß serviert, den „kaltblütig“ ein Einblick in übelriechende menschliche Seelenabgründe, in die Menge der dort wimmelnden Asseln, Giftspinnen und fetten Engerlinge zu bescheren vermag — gute Nacht, meine Damen, gute Nacht, meine Herren’, die Arbeitswoche beginnt morgen. Doch getrost: es steht alles noch an seinem Platz, der Studenzeiger rückt weiter, die Ordnung zog ein, der ORF ist pünktlich wie einst und immerdar.

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