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Pilgerzug heute

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„An den sehr geehrten Malteser- Ritter-Orden! Hatte das große Glück und die Gnade, mit dem geehrten Orden die Reise nach Rom mitzumachen; ich kann nur ein tausendfaches Vergelts Gott sagen für all die Liebe und Freude, die ich mit meinen 86 Jahren erleben durfte. Bitte meine Schrift zu entschuldigen, habe den grauen Star …“ Soweit ein Dankesbrief von sehr vielen, die auch heuer beim Hospitaldienst der Malteser einliefen. Wie jedes Jahr, wie nach jeder Pilgerfahrt mit Körperbehinderten und mit Kranken.

Heuer war die Fahrt zwischen dem 3. und dem 8. Oktober nach Rom gegangen, die dritte dieser Art, finanziert durch Spenden und Patenschaften, begleitet von fünf Ärzten und zwei Priestern, geleitet von Doktor Berthold Waldstein und, was die organisatorischen Details betraf, von Christian Houska. Sie alle hatten neben finanziellen Mitteln vor allem ihre Zeit ebenso geopfert wie die 115 jungen Ordensmitglieder, die mit ihren Freunden den Romzug als Pflegepersonal begleiteten, die manchmal bis zur Erschöpfung arbeiten und zupacken mußten, um die 302 meist bewegungsunfähigen Patienten aus den Rollstühlen in die Liegewagen, in die Autobusse und wieder zurück in die Rollstühle zu tragen, zu schieben und behutsam zu stützen. Dank der Organisation und sicherlich eben auch dank der begeisterten jugendlichen Uneigennützigkeit, die hier endlich geben konnte statt, wie es zeitgemäß wäre, zu fordern, funktionierten die Verpflegung und die ärztliche Betreuung in den Notfällen, waren die 97 Rollstühle bereits zur Stelle, wenn die Kolonne der 13 Autobusse irgendwo in Rom anhielt, rollten als Zusatzverpflegung Käse aus Innsbruck und Salzburg, Äpfel aus Südtirol, Schokolade und Keks aus Wien auf die Minute genau an den Gepäckswagen heran, brachte ein Zillertaler Bäcker seine Spende: eintausend Semmeln (!) pünktlich um sechs Uhr morgens auf den Innsbrucker Bahnhof und wiederholte diese Leistung, die ihn jedesmal eine Nacht kostete, bei der Rückkehr des Pilgerzuges in die Heimat.

Im Laufe ihrer Stadtrundfahrten durch Rom wurden die Patienten, die aus ganz Österreich stammten, zuerst auf dem Aventin von Fra Angelo de Mo j ana, dem regierenden Fürsten und Großmeister des souveränen Malteser-Ritterordens empfangen, dann, am 6. Oktober im Petersdom von Papst Paul VI., der die österreichischen Pilger in deutscher Sprache anredete:

„Wir heißen jeden einzelnen von Ihnen ebenso wie Ihre Ärzte und Pfleger herzlich willkommen. Ihr Krankenlager hat einen tiefen Sinn. Es wird Ihnen und der ganzen Kirche reichen Segen bringen, wenn Sie Ihre Leiden in Ergebung tragen und aufopfern für die Kirche und alle Nöte in der Welt.“

Der Papst kam, soweit er nicht durch das Gedränge behindert war, zu jedem der Patienten, bot ihnen allen die Hände, die ausgebreiteten Arme, sprach da und dort ein paar deutsche Worte, lächelte, ermutigte, segnete.

Der Widerhall des Erlebten war bei den Kranken ein überaus starker und kam nicht nur in persönlichen Gesprächen, sondern, nach der Heimkehr, auch in einer Flut von Briefen zum Ausdruck. Die Pilger hatten das antike und das moderne Rom gesehen, nicht anders als ein Gesunder es zu sehen vermag, der Papst hatte sie, herzlicher noch als irgendeinen Gesunden, begrüßt, sie alle, die Kranken, Behinderten, waren Ihrer Einsamkeit entrissen, von ihrem engen Dasein abgelenkt, dem größeren Leben unter weiteren Horizonten wiedergegeben worden.

So zeitgemäß können Pilgerfahrten sein. Die Art des Pilgerschutzes, wie er seit eh und je vom Malteser- Ritterorden geleistet wird, hat sich im Laufe der Jahrhunderte gewandelt, Ziel und Aufgabe aber sind wohl immer dieselben geblieben. Heute ist es nicht mehr Schutz mit der Waffe, sondern Bereitstellung der technischen und personellen Möglichkeiten durch freiwilligen, ehrenamtlichen Einsatz, der den Pilgern, nunmehr eben mittellosen Körperbehinderten, eine Fahrt ermöglicht, eine Wallfahrt, die nicht weniger unter religiösem Vorzeichen steht als irgendeine der großen, gleicherweise mühsamen Pilgerreisen früherer Tage. Kranke sind für Eindrücke aufnahmefähiger als Gesunde und nicht selten folgt eine physische Besserung vom Geist, vom Erleben her, aus der fortwirkenden, sonnenüberglänzten Erinnerung.

Neben dem Betreuungsdienst, einem Kreis von Damen, die den Besuch und die häusliche Pflege von Gehbehinderten übernommen haben, besteht seit 1956 der Hospitaldienst der Malteser. Junge Ordensmitglieder, Damen und Herren mit einem Durchschnittsalter von 25 Jahren, heute 200 an der Zahl, fanden sich hier zusammen und leisten neben Beruf und Studium Sonntagsdienst in Spitälern und Nachtdienste beim Roten Kreuz. In der Öffentlichkeit ist wenig von ihnen die Rede, aber wo es zu helfen gilt, dort kennt man sie und weiß sie zu finden. Sie alle sind in erweiterter Erster Hilfe, in Säuglings- und Krankenpflege ausgebildet, sie alle stellen sich für Krankentransporte zur Verfügung, harren auch mitunter in Geduld bei zerebralgeschädigten Kindern aus. Sie haben sich vor allem der mittellosen Patienten anzunehmen, haben Ambulanzen bei religiösen Veranstaltungen (Krankensegen, Sühnerosenkranz) zu stellen, sie sind bei Katastropheneinsätzen zur Stelle, sie umsorgten die Flüchtlinge, als diese in den großen Wellen von 1956 aus Ungarn und von 1968 aus der Tschechoslowakei herbeiströmten, damals, als Zehntausende über Nacht gezwungen waren, sich in einer fremden Welt, in unserer westlichen Welt zurechtzufinden.

Wie zeitgemäß ist der Malteser- Ritterorden? Die Antwort darauf kann nur als Gegenfrage gegeben werden: Wie zeitgemäß ist Selbstlosigkeit, Hilfsbereitschaft, Opfermut und Nächstenliebe? Wie zeitgemäß ist Christentum?

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