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Polemik und Poesie

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Der Militarismus hochgerüsteter Staaten ist eine Gefahr für die Menschheit, man muß es nicht erst betonen. Nun schrieb Peter Hacks vor sechzehn Jahren das Stück „Die Schlacht bei Lobositz“, das von der Soldatenschinderei im friderizianischen Söldnerheer handelt. Im Programmheft der Ostberliner Uraufführung verkündete er damals, daß sich diese Szenen gegen den westlichen Militarismus wenden. Ein anderer Militarismus war Hacks unbekannt? Jener, bei dem es noch'uniformierte Marionetten im Stechschritt gibt. Nun wird das Stück im Theater der Courage gespielt.

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Der Militarismus hochgerüsteter Staaten ist eine Gefahr für die Menschheit, man muß es nicht erst betonen. Nun schrieb Peter Hacks vor sechzehn Jahren das Stück „Die Schlacht bei Lobositz“, das von der Soldatenschinderei im friderizianischen Söldnerheer handelt. Im Programmheft der Ostberliner Uraufführung verkündete er damals, daß sich diese Szenen gegen den westlichen Militarismus wenden. Ein anderer Militarismus war Hacks unbekannt? Jener, bei dem es noch'uniformierte Marionetten im Stechschritt gibt. Nun wird das Stück im Theater der Courage gespielt.

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Hauptgestalt ist der „arme Mann im Tockenburg“, der Schweizer Ulrich Bräker, der in seinem Lebensbericht schlicht und unmittelbar schildert, was er im friderizianischen Heer erlebte. Daraus entstanden lose, allzu lose Szenen, in denen der tumbe Bräker von seinem heuchlerischen Leutnant „am Herz dressiert“, dessen Zwecken aus selbstsüchtigen Gründen mit falscher Menschenliebe dienstbar gemacht wird, dann aber, von ihm mißhandelt, desertiert. Um die These, daß der Soldat zum Sterben gemacht sei, auf nichts anderes Anrecht habe, geht es in den entscheidenden Szenen. Doch die raffende, bühnensichere Hand fehlt, das Stück versandet nach der Schlacht mehr und und mehr. Hat es uns viel zu sagen? Es schlägt nicht durch.

Doch wird unter der Regie von Dieter Berner und Werner Prinz eine sehr beachtliche Aufführung geboten. Durch das Verschieben und Zerlegen einer Bretterbude auf Rädern, deren Teile verschieden verwendet werden, erreicht der Bühnenbildner Adolf Smalik den Eindruck des Hin und Her im Bereich der Kriegshandlungen. Helmut Berger gibt dem Bräker einfältige Gutmütigkeit, die schließlich aufbegehrt. Glaubhaft ersteht durch Wolfram Besch der Leutnant. Unter den zahlreichen Mitwirkenden gelingen Hans-Henning Heers und Werner Friedl die Zeichnung mehrerer unterschiedlicher Charaktere. Ein nettes Mädchen am Rand der Geschehnisse ist Julia Carstens.

In den fünfziger Jahren entstand durch Beckett ein Bruch in der Entwicklung des Dramas, wie es ihn vordem nicht gab. Becketts Stücke sind handlungslos. Doch gibt es sehr vereinzelte Vorläufer, in der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts die Tragödie „Ugolino“ von Heinrich Wilhelm Gerstenberg und am Ende des neunzehnten Jahrhunderts mehrere kurze Bühnenwerke von Maurice Maeterlinck.

Im Theater am Belvedere sieht man derzeit zwei der frühen Stücke dieses Belgiers, zunächst als österreichische Erstaufführung „Die sieben Prinzessinen“. Ein Prinz kehrt nach vielen Jahren zu seinen Großeltern zurück, die Eltern leben längst nicht mehr, die Prinzessinnen sind dem Schlaf verfallen, man darf sie nicht wecken, als er aber eine von ihnen weckt, ist sie tot. Im Gegensatz zu Becketts „Godot“ kommt hier der vordem lange vergeblich Erwartete tatsächlich, aber nun ist es ein „Zu-Spät“. Die unmeßbar vergehende Zeit wird hier zu einem seltsamen Zustand der Zeitlosigkeit, der durch das Stück hindurchweht.

Gegenüber diesen Dialogen, die in manchem dunkel wirken, bietet die Szene „Die Blinden“ eine reale Situation. Ein alter Priester hat eine Gruppe von Blinden aus dem Heim in die Sonne geführt, aber nun gibt er keine Antwort, er muß sie verlassen haben, sie sind hilflos, werden den Rückweg nicht finden, sie warten vergeblich — abermals denkt man an „Godot“ — schließlich entdecken sie, daß er mitten unter ihnen gestorben ist. Eine reale Situation? Eine von starkem Symbolgehalt. Die Menschen gleichen diesen Blinden, die in einer Welt voll unergründbarer Rätsel letztlich hilflos sind.

Regisseur Irimbert Ganser zeigt sich bemüht, den Gehalt der Stücke, das Zwischen-den-Zeilen spürbar zu machen. Verhaltenes Spiel von Max Sandor, Pseudonym des Regisseurs, von Peter Assen und Erika Strazitz-ky. Nur Senta Maria Parsons exaltiert. Noch eins: Im Gegensatz zu diesen Stücken erklärte Maeterlinck nach der Jahrhundertwende, die „unverbrüchliche Forderung des Theaters sei doch immer die Handlung“.

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