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Rokoko-Poesie und Märchenzauber

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Mit einer Neuinszenierung der Komödie „Das Spiel von Liebe und Zufall“ von Pierre Chamblain de Mari- vaux, die später ins Haus am Ring übersiedeln wird, stellte sich das Burgtheater bei den Bregenzer Festspielen ein. Wie in den meisten seiner Stücke, von denen der Großteil noch des kongenialen Übersetzers und Bearbeiters harrt, hielt dieser feinsinnige Menschenkenner und elegant-verspielte Rokokopoet hier eine Variante des Spiegelerlebnisses seiner eigenen ersten Liebe fest. Naive Anmut und lockende weibliche Raffinesse vereinigen sich in Silvia, der Hauptfigur, die sich drei Akte lang als ihre eigene Zofe ausgibt, um Charakter und Temperament des ihr Zugedachten unauffällig erproben zu können. Aber Bräutigam Dorante, von ihrem Vorhaben nichts ahnend, hat den gleichen Ge-

danken und tritt ihr im Gewand seines Kammerdieners entgegen.

In der sensiblen und intuitiven Inszenierung von Leopold Lindtberg gerät dieses ,jeu d’amour“ mit seinen prickelnd-heiteren Situationen, aber auch seinen dramatisch angehauchten Momenten wohl in die Atmosphäre jener tändelnden Schäferspiele des Rokoko, ohne jedoch auf die Transparenz zarter, aufkeimender Bindungen und verinnerlichter Gefühle zu verzichten. Man glaubt fast den musikalischen Genius Mozarts in den mit lockerer Hand und sprachlicher Delikatesse (deutsche Nachdichtung: Till Brei- denbach) ziselierten Szenen und Charakteren zu verspüren. Marivaux’ komödiantische Decouvrierung der vielfältig verästelten Regungen eines Frauenherzens gerät Lindtberg zu einer schwerelosen Parabel über die Liebe einer Epoche, in der sie geschliffenes Florettgefecht mit Worten und Empfindungen war. Burgtheaterdebütantin Sylvia Manas bringt schon äußerlich alle Voraussetzungen für die mit allen weiblichen Listen und Verstellungskünsten geführte Auseinandersetzung mit. Ihre Silvia hat kokettforschen Witz, berückenden Charme und auftrumpfendes Temperament, dem aber auch die Angst, den geliebten Mann durch dieses bis zur letzten Minute aus gekostete Verwechslungsspiel vielleicht doch zu verlieren, nicht fremd ist. Dieter Witting ist ein mit gebändigter Männlichkeit liebender Dorante. Das Buffopaar der Lisette und des Harlekin wird durch Helma Gautier und Rudolf Buczolich köstlich stimmend voll treffsicherer Komik profiliert. Alexander Trojan entledigt sich seiner Vaterrolle mit schmun- zelnd-distinguierter Noblesse, die Florian Liewehrs süffisant und zuweilen etwas polternd aufscheinender Sohn Mario nicht so ganz aufzubringen weiß. Reicher Beifall für eine geistvoll-galante Maskerade der Herzen, gespielt in einer eindrucksvollen Barockdekoration, die Toni Businger in zarte Blautöne getaucht hat.

Wie schon zu Beginn der Festspiele mit Webers romantischer Oper „Oberon“, tauchte Märchenzauber bei dem abschließenden Ballett „Dornröschen“ von Peter Iljitsch Tschai- kowsky die von Toni Businger verwandelte Seebühne in goldgleißeri- den, barocken Prunk. Leider beeinträchtigte immer wieder einsetzender Nieselregen, der schon die Premiere zunichte gemacht hatte, auch die zweite, von den Mitgliedern des sowjetischen Permer Balletts mit bewun dernswerter Einsatzfreude durchgestandene Vorstellung. Trotz der beinahe halsbrecherischen Glätte wagten die Koryphäen ihre nach der klassischen Choreographie von Marius Pe- tipa durch Nikolaj Bojartschikow einstudierten raumgreifenden Sprünge, wirbelnden Pirouetten und faszinierenden Battements, die untet normalen Verhältnissen sicher noch imposanter ausgefallen wären. Trotzdem begeisterten sich die unverzagt ausharrenden Zuschauer an den schwerelos filigranen Spitzentanzkünsten einer Olga Tschentschikowa als Prinzessin Aurora und vor allem jener gra ziösen und mimisch begabten Galina Schljapina, die sowohl als eine der guten Feen wie auch als temperamentvolle Weiße Katze im Solo und Pas de deux alle mitriß. Voll artistischer Virtuosität ferner die von Jurij Petuchow rasant getanzte Episode vom blauen Vogel. Ungeachtet der widrigen Wetterumstände also eine grandiose Augenweide und eine mutige Demonstration vollendeter klassischer Ballettkunst, an deren Erfolg auch die farbenprächtigen und geschmackvollen Kostüme von Tatjana Bruni Anteil hatten.

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