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SA marschiert kulinarisch
Conny Hannes Meyer, der Prinzipal der „Komödianten“, inszenierte die „Italienische Nacht“ von ödön von Horväth auf der Burgtheaterbühne, die zum Prüfstand wurde. Als nicht länger - soweit überhaupt jemals - brauchbar erwies sich dabei aber nicht das Stück, sondern lediglich die universelle Anwendbarkeit einer Regie-Masche.
Conny Hannes Meyer, der Prinzipal der „Komödianten“, inszenierte die „Italienische Nacht“ von ödön von Horväth auf der Burgtheaterbühne, die zum Prüfstand wurde. Als nicht länger - soweit überhaupt jemals - brauchbar erwies sich dabei aber nicht das Stück, sondern lediglich die universelle Anwendbarkeit einer Regie-Masche.
Die in weniger als zwei Stunden (samt Pause) bequem spielbare „Italienische Nacht“ überstand sogar die Zerdehnung auf zweieinhalb Stunden (samt einer Viertelstunde Pause). Das Stück wirkt trotzdem - aber zumindest politisch lange nicht so stark wie zuletzt vor einigen Jahren im Volkstheater. Trotz der dem Burgtheater möglichen optimalen Besetzung jeder Rolle, trotz der kräftig genutzten bühnentechnischen Möglichkeiten geht der ins Streckbett gespannten „Italienischen Nacht“ etwas Wichtiges verloren. Nämlich der Eindruck der Unaufhaltsamkeit des Abrutschens einer Noch-Demokratie in die Barbarei, den Horväth nicht zuletzt durch die Knappheit seiner auf Tempo angelegten Dialoge erzeugte. Daß das vielzitierte zwischen den Worten dieses Dichters Schwebende der Kunstpausen bedarf, um den Weg auf die Bühne zu finden, ist nämlich schlicht ein Irrtum. Statt der blind in den Abgrund wirbelnden Weimarer Republik erleben wir nun das quälend langsame
Einschlafen eines politischen Bewußtseins. Aber das ist ja, zugegeben, auch etwas. Ist vielleicht, zugegeben, sogar besonders aktuelL Nur lang nicht so theaterwirksam.
Und noch etwas anderes erwies sich auf dem Prüfstand als kaputtes Vehikel. Vor zehn Jahren, vielleicht noch vor fünf, genügte eine SA-Uniform auf der Bühne, um das Publikum in einen Wirbel schaurigster Gefühle zu stürzen, Beklemmung bei den einen zu erzeugen, Heimweh bei den anderen (aber letztere gingen ohnehin nicht in Stücke, in denen SA-Uniformen vorkamen). Und ein Hakenkreuz wirkte auf der Bühne vor zehn Jahren noch so anstößig wie eine nackte Frau vor fünf. Beides hat seine Wirkung verloren. Conny Hannes Meyer ließ im ersten Büd zweimal die SA marschieren, mit Standarten und klingendem Spiel, aber, historisch getreu, das Stück spielt ja vor der Machtergreifung, nicht ganz vorschriftsmäßig adjustiert und auch sonst, und es lief mir eine schüchterne Gänsehaut über den Rücken, aber als die Marschformation wieder kam, hatte ich nur Respekt vor so viel an Brechts Coriolan-Regiegesprächen geschultem historischem Theaterverstand. Wo bleibt das Gruseln, dachte ich ganz erschreckt, stimmen meine Reflexe nicht mehr?
Daß die über die Bühne marschierende SA keine erhöhte Adrenalinausschüttung ins Blut mehr bewirkt, sondern, ganz entgegen dem angestrebten Effekt, die kulinarische Bereicherung eines opultenen Bühnenbildes, ist natürlich nicht der Regie anzulasten. Und natürlich muß derlei gelegentlich ausprobiert werden, sonst käme ja niemand drauf, daß das Werkel nicht mehr wirkt. Ich rechne es dieser Inszenierung positiv an, daß sie meinen Blick auf jene verschwimmende Linie lenkt, an der Zeitgeschichte unwider-
ruflich Geschichte wird, zum Ausgleich dafür aber bestürzend aktuelle politische Aspekte dieses Stückes herausarbeitet. Denn die Schärfe, mit der Horväth sah, was kam, mag Geschichte sein - die Unbarmherzigkeit seiner Abrechnung mit politischen Verhaltensweisen und die Genauigkeit, mit der er das politische und das menschliche Versagen eines Individuums in Verbindung bringt, geht uns mindestens so sehr an wie Horväths Zeitgenossen und wird hier auch ^um Vorschein gebracht.
Daß die Aufführung trotz ihrer modischen und stellenweise schon ma-nieristischen Zerdehnung sehenswert ist, liegt an der Konsequenz, mit der Conny Hannes Meyer der Rolle der Frauen in diesem Spiel auf den Grund geht und, ausgehend vom Verhalten des „politischen Idealisten“ Martin (Kurt Schossmann) gegenüber seiner Freundin (“Gabriele Buch), auch die opportunistischen Züge in Martins politischem Verhalten aufdeckt. Die Frauen sind in diesem Stück die eigentlichen Opfer der Politik, diesen ihren Opfern gegenüber werden die Männer, die sonst Statuen oder Litfaßsäulen ihrer politischen Uberzeugungen und Verhaltensweisen blieben, zu Menschen. Diesen Szenen wird die Inszenierung gerecht. Fast nur diesen.
Besonders hervorheben möchte ich Michael Janisch als Stadtrat, Martha Wallner als seine Frau, Otto Tausig als Wirt, Wolfgang Hübsch als Karl, Sylvia Lukan als Leni, Bibiana Zeller als köstliche Nerverisäge von einer singenden Frau Hinterberger. Das Bühnenbild (GerhardJanda) ist großzügig, detaüreich, schön, paßt aber diesem Stück wie Charlie Chaplin seine Hosen, Handlung und Darsteller schlottern zeitweise drinnen herum. Es macht die Kunstpausen durch räumlichen Abstand noch lähmender. Und dank der Drehbühne müssen alle noch weiter gehen.
Aber wie gesagt, die Aufführung ist trotzdem sehenswert. Dank einiger Meriten, die die Inszenierung eben doch hat. Vor allem aber dank ödön von Horväths Text
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