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Schule ohne Bürokrati

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Die Lehrer sind der Vor-schriftenflut längst überdrüssig - schrieb ein k.k. Beamter um die Jahrhundertwende. Seine Kritik hat im Grunde nichts an Aktualität eingebüßt!

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Die Lehrer sind der Vor-schriftenflut längst überdrüssig - schrieb ein k.k. Beamter um die Jahrhundertwende. Seine Kritik hat im Grunde nichts an Aktualität eingebüßt!

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Die Frage, wie die Wissenschaft und ihre Lehre und das Unterrichtswesen vom Bürokratismus freigemacht werden könnten, ließe sich einfach dahin beantworten, daß sie auf sich selbst und ihre eigenen inneren Kräfte gestellt werden müßten.

Man befreie die Schulen vom äußeren Reglement, dezentralisiere, gebe ihnen Autonomie, Geld und Stellen und vielleicht das eine oder andere Gesetz.

Man gebe den Schulen und Hochschulen einen gewissen Rahmen und lasse ihnen im übrigen Spielraum. Man gebe ihnen einen freien Wirkungsbereich.

Man schaffe neue Formen der Selbstverwaltung oder gebe den Schulen wenigstens die jetzigen Freiräume der Hochschulen und die Wahl ihrer Führung. (Auf die Wahl des Klassenvorstandes an den Allgemeinbildenden Höheren Schulen scheint man sich — wenn es nach Unterrichtsminister Helmut Zilk geht — einigen zu können; man sollte auch die Wahl des Direktors durch Lehrer und Schüler miteinbeziehen).

Den Hochschulen gebe man am Ende aber eine echte Selbstverwaltung.

Aber schon vor 80 Jahren schrieb der ehemalige Beamte des Ministeriums für Kultus und Unterricht, Max Eugen Burckhard, Mitglied des Verwaltungsgerichtshofes, fortschrittlicher Burgtheaterdirektor, Rechtsgelehrter und Schriftsteller:

„Wie weit könnte hier dermalen der Bürokratismus verdrängt werden? So müßte man fragen.Da möchte ich nur darauf verweisen, als welch bürokratische Ungeheuer unsere Universitäten uns erscheinen müssen, wenn wir sie mit jenen wahrhaft autonomen Korporationen vergleichen, aus denen sie hervorgegangen sind. Und nur die eine Frage möchte ich kurz erörtern, ob denn wirklich unsere Mittelschule jenes bürokratischen Zwanges bedarf, der sie heute zu Boden drückt."

So fragte 1904 ein Hofrat. Und er setzte fort: „Das Lehrziel sinkt und die Uberbürdung wächst. Die Mittel erdrücken den Zweck. Um die schlechten und unfähigen Lehrer zu hindern, daß sie Schaden stiften, werden auch dem guten und fähigen Lehrer die Hände mit Instruktionen und Formvorschriften gebunden, wo seine Persönlichkeit frei waltend befruchtenden Segen bringen könnte."

„Damit der boshafte Lehrer verhindert sei, zu schikanieren, der .Strebsame' nicht in der Lage sei, Protektionen zu üben, muß sich ein fortwährendes Prüfen durch das ganze Jahr hinziehen, und nicht die wirkliche innere Meinung des Lehrers, sondern der Katalog mit seinen Zufallsergebnissen ist das Substrat für das Fortgangszeugnis."

Und Burckhard fragte — vor 80 Jahren! — weiter:

„Das sind ja Gründe, aber sind das wirklich gute Gründe? Sehen wir ganz ab von der Frage, ob die, denen die Ausarbeitung von .Instruktionen' und dergleichen übertragen wird, wirklich immer klüger sind als jene, die sie befolgen sollen, und nehmen wir einmal recht ungünstige Ziffern an: von 100 Lehrern seien 99 boshafte Affen oder einfältige TrÖDfe. Es ist nun nicht einmal sicher, ob die 99 schlechten Lehrer mehr Schaden stiften könnten, als der eine gute Lehrer Gutes schaffen vermöchte, wenn er volle Freiheit hätte und ihm sein Beruf nicht dadurch verekelt würde, daß ihm bürokratischer Zwang die Behandlung seines Stoffes und seiner Schüler bis ins Detail vorschreibt."

„Aber ganz sicher ist es, daß der staatliche Zwang nicht viel nützen und oft die boshaften Affen nur boshafter, und tückisch dazu, machen wird, die Dummen aber noch vernagelter, und dünkelhaft dazu."

„Also, muß man fragen, wozu der Zwang und die bürokratische Oberpädagogik?"

Nach 80 Jahren fragen wir noch immer, wenn wir überhaupt noch fragen. Der Bürokratismus ist uns so in Fleisch und Blut übergegangen, daß vielen dazu nichts mehr einfällt. Sie lassen ihn sich gefallen. Wir haben gelernt, mit ihm zu leben.

Die Österreicher lernen schon früh die Fähigkeit, ihre viel zu vielen Vorschriften möglichst nicht, wenig oder auf ihre Art zu befolgen. Die Bürokratie duldet das bis zu einem ungewissen Grad und nimmt ihre Eingriffs-, Zugriffsund Durchgriffsmöglichkeiten — wenn es nicht ums Geld geht — meist oder nicht selten zurückhaltend wahr.

Wir leben nach der Philosophie des Als-Ob.

Die Praxis hebt überdies viele Vorschriften per desuetudinem auf, totalen Dienst und Alltag „nach Vorschrift" gibt es nur im Ausnahmefall. Das Plebiszit der Praxis schafft oft „lebendiges Recht", welches das Gesetzes-, Verordnungs- und Erlaßrecht zum Wunschprogramm reduziert und es nur im Konfliktsfall effizient werden läßt.

Aber ist das die Freiheit, ist das der Rechtsstaat? Sollten wir nicht sukzessive entrechtlichen, entstaatlichen, dezentralisieren, au-tonomisieren? Auch in der Schule.

Der Autor ist Professor für Rechtslehre an der Universität für Bodenkultur und ÖVP-Abgeordneter zum Landtag in Wien.

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