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Steirisches opus magnum

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Das Thema einer ihrer frühen und noch hochexpressionistischen Dichtungen, der „Räuberlegende“, hat Paula Grogger nicht wieder losgelassen. Jahrzehntelang spann sie den Faden weiter, reihte Seite an Seite, Episode an Episode, und es entstand, was sie (oder was der Verlag) einen Roman nennt, was sich aber so ohne weiteres gar nicht einordnen läßt: ein aus- ufemd dahinströmendes Werk, ein opus magnum, an Umfang bedeutender und viel gewaltiger als einst das „Grimmingtor“. Stürzt man sich hinein in dieses Wagnis und läßt sich fortreißen vom Sog dieser unaufhaltsamen Lust am Fabulieren, so glaubt man anfangs, hier sei der Dichterin imwillentlich eine „sinfonia quasi una fantasia“ entstanden und allmählich der schreibenden Hand entglitten - bis man mit einemmal der Balance innewird, des heimlich ausgeklügelten Kontrapunkts, der erfolgreichen Absicht, „Variationen über ein eigenes Thema“ zu erfinden und, in die Anfangstonart wechselnd, mit einem knappen Schlußakkord zu beenden.

Freilich, bei solcher Breite mußte alles in einen Farbenrausch geraten, was ursprünglich grobkantiger,

schwarz-weißer Holzschnitt gewesen war; in der Urfassung kaum verständliches, in seinem Sinn aber stets erahnbares Steirisch wandelte sich in steirisch gefärbte Hochsprache; himmlische und höllische Mächte, schwarze und weiße Gestalten mußten sich unversehens vermenschlichen. Die „Guten“ sind nicht immer besonders gut. Und die Bösen? So böse sind sie eigentlich gar nicht. Der Vagant, Saufaus und „Heidelschupfer“ geriet da ganz allmählich zu einer hinreißenden Landsknechtsfigur der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert; der Räuberhauptmann, mag er auch, wie man hört, immer noch einem internationalen satanistischen Terroristenzirkel angehören, mit dem er im Bergschacht, bei den Unterirdischen, Schwarze Messen feiert, rückt uns dennoch mit seiner fanatischen Liebe zum rationalistisch aufgeklärten, frühreifen, schöngeratenen Erbsohn, rückt uns mit offenbar zahllosen Liebesabenteuern und seiner hochge züchteten, verkommenen, graumelierten Noblesse so nahe, daß wir ihm den plumpen „Bergteufel“ gar nicht mehr recht glauben wollen; den spielt er ja nur - und zwar aus galanten Gründen. Und gar erst die „Bankern“, die unge- taufte, unwissende, vaterlose Brut der Räuberkommune- sie sind nicht mehr die erschreckenden Larven, aus deren Gesichtern das höllische Feuer lodert, sie sind zu einer neuheidnischen Rok- kerbande von raubtierhafter Unschuld geworden, an deren Vielfalt und Originalität man nur noch jenes Vergnügen haben kann, das die Dichterin selbst ganz offenbar hatte.

Eine Achtzigjährige sieht eben die Dinge dieser Welt, rückblickend, gelassener, humorvoller und jenseitiger als die Frau Lehrerin aus öblarn, die sie war und die sie unterdessen weit hinter sich gelassen hat. Was bedeuten noch Ketzerei, magische Zirkel, religiöses Halbwissen, wenn man, wie Paula Grogger, erkannt hat, daß hinter allen Fragwürdigkeiten dieser Welt der Logos, jener Sinn des Ganzen steht, der das Geschaffene großzügiger lenkt als Menschenhime je begreifen könnten?

Was bleibt, ist das Leitmotiv, das in all diesen „Variationen über ein eigenes Thema“ immer wieder anklingt, das Motiv vom goldenen Schlüssel, vom Himmelsschlüssel. Er erscheint in mannigfacher Verwandlung als Blume, als Komet, als Zepter des hölzernen Jesusknaben, löst Knoten, sprengt Tore, auch das Tor hinüber ins „Schlarauffenland“, ins schlemmende Oberösterreich, in die Neue Welt jenseits der Meere vielleicht, wo das Gold wächst, oder doch in die „andere“ Welt hinter den Sternen, jenseits des Sichtbaren. Das Leitmotiv vom Himmelsschlüssel verknüpft die nur scheinbar locker aneinandergereihten Episoden, fügt, was notwendigerweise fragmentarisch blieb, zum Ganzen, schließt den Kreis der Erzählung mit dem allerletzten Satz des Buches - und das ist wörtlich zu nehmen - zum Rosenkranz.

DIE RÄUBERLEGENDE. Roman von Paula Grogger. Verlag Fritz Molden, Wien 1977,734 Seiten,öS292,-.

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