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Tag der Lyrik?

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Am 7. März findet - zum neunten Mal - der Tag der Lyrik statt. Die FURCHE hat einen der wichtigsten Lyriker Österreichs, Michael Gutenbrunner, und den jungen satirischen Poeten Josef Dirnbeck um Stellungnahmen gebeten.

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Am 7. März findet - zum neunten Mal - der Tag der Lyrik statt. Die FURCHE hat einen der wichtigsten Lyriker Österreichs, Michael Gutenbrunner, und den jungen satirischen Poeten Josef Dirnbeck um Stellungnahmen gebeten.

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Der „Tag der Lyrik“ ist eine Erfindung der „österreichischen Gesellschaft für Literatur“. Er zählt zu den Unternehmungen des Propagandageistes, die der Schreiber im großen Buch unter der Rubrik: „Haschen nach Wind“ verzeichnet. Mit der Sache hat er nichts zu tun; es sei denn, er schadet ihr, indem er falsche Vorstellungen, Mißwuchs, Schmutzkonkurrenz begünstigt und Ansprüche weckt.

Die Literaturförderer haben ihre Kompetenz um ein unbekanntes Stück erweitert, dem Lyriker aber eine Entscheidung aufgezwungen, die er zu seinem Schaden fällen muß. Bleibt nichts, als der Effekt eines „Kesseltreibens von Reflexen“, und was sich halt sonst noch dem Sinnieren der Programmierer in einem ausgehaltenen Betrieb verdankt.

Der freundliche Leser weiß schon, daß ich kein Wort über „lyrische Strukturen“ oder über einen „Drehpunkt der Interpretation“ und dergleichen verliere, sondern nur von den Schicksalen der Lyrik spreche, die ihr vom Geschäftsgeist des Veranstaltungsgeistes bereitet werden und von den Phrasenreitern der Theorie.

Einer nach dem andern fällt über sie her. Die Lyrik ist eins der edelsten und ärmsten Opfer. An keinem Verdammten dieser Erde wird so her-umgeschmiert wie an ihr, aber keiner ihrer Betreuer und Korporale ahnt ihre wahre Natur und die Dimensionen, die er da vor sich hat.

Es wird verlautbart, wann Zeit für Lyrik ist und wann keine Zeit für Lyrik ist. Hat man sie für das eine Jahrzehnt totdekretiert, so wird sie für ein anderes wieder ausgegraben und am Galgen einer neuen Motivierung und eines neuen Maßstabes in die Höhe gereckt. Man lizentiert und normiert sie heute lang und breit, morgen kurz und spitz, einmal links, einmal rechts, heute rot, morgen tot.

Eines Tages fühlt sich eine Literaturzeitschrift bemüßigt, zu fragen: „Gibt es noch Liebesgedichte?“ Und

sie fügt, mutig wie sie ist, gleich hinzu: „Solche von einigem literarischen Rang ist natürlich gemeint.“ -Natürlich ist das ein Satz von einigem „literarischen Rang“, doch deutet er nicht auf Lyrik und nicht auf Deutsch.

Dessenungeachtet wird der Lyriker von vielen Hoch-'und Vielbeschäftigten beneidet, und es versteht sich, daß er auch dafür in irgendeiner Form zahlen muß. So mancher Prominente läßt an seinen Ehrentagen immer wieder das resignierte Bedauern hören: Zum Dichten und für Gedichte bleibe ihm leider keine Zeit; und dieser Ausspruch wird von den Medien stets rapportiert.

Es klingt so, als ob die Dichtkunst ein Geschäft für den Rest der Kraft, für den Fleiß einer Uberstunde wäre, etwas dem die Uhr erst dann schlägt, wenn es auch schon zu spät dafür ist. Niemand fragt einen dieser diplomierten Weltanschauer: was das für eine Kunstanschauung ist?

Sie ist kein Restvergnügen, sie ist nicht die Spräche dessen, dem zu Größerem die Luft ausgeht: Gesang des Schmalbrüstigen und Zartbesaiteten. Sie ist kein Geschmeide für ein Geschmeichel.

Im Gegenteil. Darum sei es ihren maßgebenden Einschätzern an dem Tage, den sie ihr im Kalender festgesetzt haben, abermals gesagt, daß er Unsinn ist, und daß seine Bezeichnung ein Mundwerk verrät, das stillgelegt gehört. Unter den Tagen, die in der Hitlerzeit ganz einem einzigen Inhalt bestimmt und verpflichtet, ihm förmlich symbolisch verschworen sein sollten, war der nichtpro-klamierte „Tag der Lyrik“ im „Tag der Fahne“ und der „Nationalen Erhebung“ mitrepräsentiert. Unsere Anschlttßmännerän ein'viel größeres Reich der Phraseologie spüren nie, wenn sie der Teufel, beim Wort, am Kragen packt.

Damit ist die gebotene Gelegenheit benützt, der Anlaß durch eine Auslassung widerlegt und der Freiheit ein gebührliches Opfer gebracht.

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