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Tendenzen rückläufig

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Ob die Komponisten, die da beim „Musikprotokoll” im „Steirischen Herbst” 32 Jahre jung sind wie der russische Emigrant Alexandre Rabi- novitch (seine ,»La belle musique nu- mero 3” ist ein nach Ravel und Mahler duftender Marsch), oder 52 Jahre alt wie Ivo Malec aus Zagreb (sein „Teh- rana für Orchester” erlebte in Graz seine europäische Erstaufführung) - eines scheint ihnen in diesem Jahr der kompositorischen Tendenzwende gemeinsam: romantische Tongemälde werden da gemalt, formal kehrt man in die Gußformen der sogenannten Klassik heim, kaum einer scheut vor dem gefühligen Aufladen mit Tonalität zurück. Die Avantgarde marschiert anscheinend zwei Schritte vor, einen zurück - und wir erleben gerade einen dieser Rückschritte.

Gleichzeitig ist in Graz zu konstatieren, daß sich der qualitative Abstand zwischen Großmeistern der Moderne und den „kleinen Krabblern” immer stärker vergrößert Die österreichische Erstaufführung von György Ligetis „San Francisco Polyphonie” etwa durch die Budapester Sinfoniker unter György Lehel, die Uraufführung des „Concerto per archi” (Kompositionspreis für österreichische Komponisten 1977) von Roman Haubenstock-Rama ti oder die Uraufführung des jetzt vollendet vorliegenden „Coro” von Luciano Berio (eine Kost probe bot ein ORF-Orchesterkonzert bei den heurigen Salzburger Festspielen) zeigen, wie konsequent diese drei Großmeister ihre Tonsprache fortentwickeln, souverän ihre Mittel immer raffinierter und unaufwendiger zugleich in den Dienst des Ausdrucks oder einer humanitären Botschaft (Berio) stellen.

Schließlich ist Graz für die Entdek- kung des Bernard von Beurden zu danken, der ein steifes Eröffhungspu- blikum in einem Publikumskonzert als Chor für die Uraufführung einer eigenen Vertonung zweier Her- gouth-Gedichte zu mobilisieren vermag und in Familienkonzerten in Weiz und Graz Herden von Laien, die noch keinen Ton über Schubert hinaus musiziert haben, zum stereoreifen Fachensemble für Neue Musik umformt.

Die negativen Seiten seien der Form halber angemerkt: Namen wie Ta- deusz Baird, Paul Dessau, Luc Ferrari, H. W. Henze, Steve Reich, Gunther Schüller fehlen in der zehnjährigen Geschichte des „Musikprotokolls”, die Elektronikstudios produzieren L’art pour l’art ohne jede Chance auf Öffentlichkeit, die evolutionäre Bandbreite scheint immer knapper. Ein Erfreuliches: Immer mehr Ensembles und Solisten erreichen auch in der Neuen Musik die Qualitäten von Superstars. Stellvertretend sei der junge polnische Dirigent Jacek Kasprzyk, 25, genannt.

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