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Tintenburg für Götter

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Ein neues Bauwerk in Wien zeigt neben altägyptischen Säulen barocke Elemente und Motive des Jugendstils. Will die Mixtur den Geist einer „humaneren“ Architektur ausdrucken?

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Ein neues Bauwerk in Wien zeigt neben altägyptischen Säulen barocke Elemente und Motive des Jugendstils. Will die Mixtur den Geist einer „humaneren“ Architektur ausdrucken?

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Dort, wo die Wien in den Donaukanal mündet, wo die Ringstraße plötzlich vergißt, daß sie eine Ringstraße sein sollte, ist nun nach dem Rechnungshof, dessen braun verblechte Flächen schon lange traurig vor sich hinträumen, ein neues Gebäude entstanden. Es ist wieder—wie die Wiener sagen - eine „Tintenburg“.

Sie wurde nach den Plänen von Architekt Peter Czernin im Anschluß an das Hauptzollamt gebaut. Drei um einen Lichthof konzentrierte achteckige Büroblocks werden die Bundesministerien für Gesundheit und für Verkehr sowie das Finanzamt für Körperschaften aufnehmen.

Im Vergleich zum Rechnungshof kann man erst sehen, welchen „Fortschritt“ die Architektur seither gemacht hat.

Von Traurigkeit keine Spur. Wie ein „Pfauenrad“ entfächert dieser Bau eine Vielfalt an Formen, Farben, Materialien und Symbolen. Man ist erstaunt, welch weites Herz die sogenannte „postmoderne Architektur“ hat. Fast schon könnte man von einer „Post-Postmodernen“ sprechen.

Unter dem Mantel historischer

Vorbilder und von Mystik angehauchter Zukunftsvisionen verbergen sich jener Funktionalismus und jene technische Perfektion, die die „postmoderne Architektur“ durch ein „humanes Bauen“ ersetzen wollte.

Tatsächlich ist bei diesem Bau Funktion und Perfektion bewundernswert. Die hier investierte große Anstrengung ist bis ins letzte Detail spür- und sichtbar. Unglaublich die Vielfalt der aus dem Konstruktionsprinzip heraus entwickelten Elemente - Achteck, Diagonale, Dreieck — für alle Bereiche der Boden-, Wand- und Deckengestaltungen. Verzweifelt wird überdies versucht, aus dem bisher gängigen Vokabular für „Tintenburgen“ auszubrechen: durch Einbeziehung symbolträchtiger Stilelemente vergangener Hochkulturen in Verbindung mit geheimnisvollen computergesteuerten Zukunftsvisionen, die die Glasfassaden in blaugrünen Tönen schillernd vermitteln.

Man findet barocke Gestaltungselemente ebenso wie solche des Jugendstils. Man findet aber auch — den gesamten Bau dominierend - altägyptische Stilelemente. Die nur für Tempel verwendete Palmstammsäule Altägyptens kommt hier in tragender Form im Erdgeschoßbereich vor und zugleich überdimensional bei den den Bau hoch überragenden Türmen für die Nottreppen.

Geld spielte keine Rolle

Diese Säulen waren einmal Symbol für aus dem Urhügel wachsende Bäume als Träger des dunkelblauen, mit goldenen Sternen bemalten Nachthimmels. Es waren Götterwohnungen, unberührbare göttliche Schöpfungen. Wer sind diese Götter heute? Soll auf die Herren der Tintenburg angespielt werden?

Schade, daß die Nottreppentürme das klare Grundkonzept der drei sich tangierenden Oktogone völlig verwischen. Daß hier Form und Funktion nicht übereinstimmen, kann man in der mit Recht spartanischen Gestaltung der wenig benützten Nottreppen sehen — im Gegensatz zu allen übrigen Bauteilen.

Mit dem Begriff „Luxus“ ist nicht annähernd der Aufwand zu umschreiben, der den Besucher auf Schritt und Tritt überrascht. Geld hat hier scheinbar überhaupt keine Rolle gespielt. Ob der einst für Götter oder Gottkönige eingesetzte Aufwand auch heute noch für Minister mit gutem Gewissen vertretbar ist?

Für Qualität in der Kunst gibt es einen einfachen Maßstab: „Weniger wäre mehr“. Das gilt auch für Bauten, wenn sie Anspruch auf Qualität erheben wollen. Das gilt auch für diesen neuen „Tinten-Tempel“.

Der Autor ist Architekt in Wien.

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