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Toben im Dreivierteltakt

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Viel wurde bereits über den Wiener Walzer geschrieben, stets mit etwas belegter Zunge von seinem Zauber gesprochen, dem wir uns ja bis heute nicht entziehen können. In der Sprache des 19. Jahrhunderts - das vielfach als Jahrhundert des Walzers bezeichnet wird - erfährt der Walzertanz im Vergleich zu anderen Gesellschaftstänzen eine Charakterisierung, wie sie auch unserer Vorstellung entspricht: „In keinem (Tanz) herrlicher schwebt die vollendetste Figur der Welt, die Kreisfigur, von jedem einzelnen Paare und von der Schwingung aller harmonisch dargestellt“, schwärmte ein Tanzbuch aus dem vorigen Jahrhundert.

Diesen Zauber mit Schlagworten wie „irrationale Rhythmik“ erklären zu wollen, muß ein müßiges Unterfangen bleiben; vielmehr ist die Entstehung des Wiener Walzers - und er trägt mit Recht den Beinamen „Wiener“ - in einem komplizierten Prozeß eingebettet, der wiederum Aufschlüsse über diesen Tanz liefert.

Um 1750 traten in Wien die ersten Erwähnungen des „Walzerischen“, des „Deutschen Tanzes“ - wie er auch genannt wurde -, auf. Von da an läßt sich kontinuierlich die Entwicklung bis zum Wiener Walzer verfolgen.

Der ursprünglich bäuerliche Tanz fand Eingang in den städtischen Tanzsaal mit seiner ganzen Dynamik. Doch verschrieb sich nicht nur Wien diesem Rundtanz, auch Goethe tanzte den Walzer und pries ihn schon 1774 in „Werthers Leiden“. Der neue Tanz war Antwort auf alles Starre, ein Tanz, in dem sich das neue romantische Lebensgefühl, das sich wie in einem Rausch im All verströmen wollte, manifestierte.

Auch in anderen Städten wurde der Walzer getanzt, doch „dagegen übertrifft der Wiener Walzer alles an wilder Raschheit“ (Journal des Luxus und der Moden, 1797). Ein wahrer Tanzrausch hatte in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts die Bevölkerung trotz Krieg und politischen Schwierigkeiten erfaßt. Die Entwicklung der Choreographie des Wiener Walzers hängt mit der spezifi-

schen Situation in Wien und vor allem mit dem Fasching zusammen. Wer vom Fasching in Wien spricht, meint eigentlich immer den Wiener Walzer und mit ihm die charakteristische Ballkultur dieser Stadt.

Als Erklärung für,dieses Phänomen wurde immer die Mentalität der Wiener angeführt, die Feste in den eigenen vier Wänden einem lärmenden Treiben auf der Straße vorzögen. Doch bis in das 18. Jahrhundert lassen sich auch in Wien überschwengliche Maskenumzüge aus Berichten verfolgen; bei diesen Faschings-rummeln war es oftmals zu zügellosen Ausschweifungen gekommen. Schlägereien und selbst Morde waren unter dem Schutz der Maske beinahe an der Tagesordnung gewesen. Das Maskenwesen konnte vom Wiener Hof allein schon vom Standpunkt der politischen Räson aus nicht geduldet werden. Maria Theresia gelang es, sich mit ihren strengen Verboten durchzusetzen. Allen Ständen, auch dem Adel, wurde unter Androhung der strengsten Strafen das Tragen der Larve vor dem Gesicht auf der Straße untersagt. Dadurch sollte die Sicherheit der Stadt gewährleistet und eine Konspiration gegen den Hof oder politische Persönlichkeiten im Keim erstickt werden.

In diesen Verboten scheint einer der Ansatzpunkte für die Entwicklung des Ballwesens in Wien zu liegen. Während das Maskenwesen von behördlicher Seite zurückgedrängt wurde, füllten sich die Ballsäle.

Joseph II. begünstigte diese Form der Unterhaltung und sah in ihr ein Mittel, das zu Annäherung der Stände und Bildung eines einheitlichen Untertanenvolkes beitragen sollte. Als Mitregent öffnete er bereits eine berühmte Faschingsarena des Adels, die k. k. Redoutensäle in der Hofburg, für alle Stände. Auch ließ er im Jahre 1786 großzügige Öffnungszeiten für Gasthäuser und damit auch für Tanzsäle, die „wie Pilze aus dem Boden schössen“, zu.

Und während sich Paris in eine politische Schreibstube verwandelte und die Revolution tobte, huldigte man in Wien dem „leidenschaftlichen Rasen“ in einer neuen Variante des „Deutschen oder Walzers“, dem Langaus-Tanz, der die bisher übliche geschlossene Formation der Tänzer durchbrach. Daneben verblaßte das Menuett auf den öffentlichen Tanzplätzen „als ein langweiliges Getrippel“. Beim Langaus durchmaß nun jedes Paar mit großen gesprungenen Geh- und Drehschritten den Raum.

Von der Ausführung des „Schnelloder Langauswalzers“ berichteten die Zeitgenossen, daß er „mit ungemeiner Raschheit und Wildheit“ getanzt wurde, und insofern ist in diesem Zusammenhang sicherlich die sogenannte „Ventil-Theorie“ zu sehen: Die innere Erregung drängt zum Tanz, die Entladung der inneren Stauung äußert sich besonders in einer wilden, rasenden, ungeordneten Bewegung. Der Tanz aber ist nicht nur Rausch und Ekstase, Wildheit und Taumel, sondern auch Rhythmus, Stil, Form, Ordnung. Tanz ist immer zugleich Auflösung und Form, Rausch und Rhythmus, Ekstase und Stil, Trunkenheit und Figur.

Die spezielle Kunst des immerfortwährenden Drehens wurde weiter verfeinert. Am Beginn des Biedermeiers ist die Choreographie des Wiener Walzers bereits ausgeformt. Der Bewegungsstil erfuhr eine grundlegende Wandlung; die einzelnen Paare drehten und schwebten nun im Raum. Nicht mehr eigene Erregung wird in Bewegungsmotorik umgesetzt, sondern die neuen Melodien von J. Lanner und J. Strauß mit ihrem rhythmisch-dynamischen Reichtum berauschten Tänzer. Der Mensch tanzte nun nicht, weil er erregt war, sondern um in Erregung zu geraten. Der Tanz ist Mittel zum Zweck, in einen Zustand des „Außer-sichseins“ zu geraten.

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