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Trauma und Traum

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Faszinierend sind die Erinnerungen von Oskar Kokoschka, die nun vorliegen. Zum Unterschied von Memoieren anderer Künstler, diie oft recht langweilig wirken. Sie sprechen meistens zu viel von ihren Erfolgen, die im Nachhinein betrachtet gar keine sind. Kokoschka spricht nur sehr wenig von seinen Erfolgen, er schildert dafür das Leben und die Begegnungen, diie es ihm bescherte, ebenso wie die Erlebnisse und Abenteuer, die er durchmachte, auf welchem Untergrund seine Arbeit wuchs, die ihn zu einem der bedeu tendsten Maler des modernen Europas machten. Wer seine Bilder genau kannte, der „roch“ geradezu eine böhmische Atmosphäre aus ihnen, der erkannte in ihnen jene seltsame Mischung von Vitalität und Esothe- rik, die auch das Werk Kafkas, Ku- bins, Meyrinks ausstrahlt. Und aus seinem Werk wird bestätigt, daß diese Ahnung zurecht besteht, denn der Vater Kokoschkas wurde in Prag gebaren, und so ist es denn nicht verwunderlich, daß das Werk des Meisters von einer böhmischen Atmosphäre durchstrahlt ist, sondern daß er auch die großen böhmischen Humanisten wie Comenius und Mazaryk porträtiert. Während des Porträtie- rens gesteht ihm übrigens der alte Präsident, daß er eigentlich die alte Habsburger Monarchie nicht zerstören, sondern nur umwandeln wollte. Diese geheime Liebe aller böhmischen Menschen zum alten Österreich spricht auch aus seinen Erinnerungen, denn immer wieder kommt er auf dieses alte Österreich zu sprechen, dessen Untergang er tief bedauert. Bei Ausbruch des ersten Weltkrieges hat er sich ja freiwillig zur k. u. k. Armee gemeldet und wurde Reserveoffizier im Dragonerregiment 15, den sogenannten „weißen Dragonern“, einem der vornehmsten Regimenter der alten Monarchie. Schwer verwundet wird er zur Ausheilung während des Krieges auf Kosten Österreichs nach Schweden zu einem Spezialisten gesandt. Und zum Schluß bereitet ihm das Leben noch ein böhmisches Schicksal, indem es ihn zwängt, ein Exulant zu werden, denn seine Kunst war im Dritten Reich streng verpönt. Er, der Freund so vieler Juden und erklärte Gegner aller Diktaturen, wurde durch eine Ausstellung seiner Werke unter dem Titel „Entartete Kunst“ 1937 geradezu verfemt. So emigrierte er 1938 nach London, wo er den ganzen Krieg über lebte, bis er in der Willy LorenzWilly LorenzNachkriegszeit ein endgültiges Heim in der Schweiz fand.

Besonders schön in dem Buch sind die Stellen über Adolf Loos, der bekanntlich Kokoschka entdeckte upd sich immer wieder seiner annahm.

Die Zeilen Kokoschkas, die er Adolf Loos widmet, sind ein besonders rührendes Denkmal der Dankbarkeit. Auch dies eine Seltenheit in der heutigen Welt.

So lesen sich denn die Erinnerungen Kokoschkas wie ein Roman, mit dem sich einer der bedeutendsten Künstler Europas der Öffentlichkeit stellt, der nicht nur ein großer Maler, sondern auch ein bedeutender Schriftsteller war. Mit diesen Memoiren findet seine schriftstellerische Arbeit einen neuen Höhepunkt.

OSKAR KOKOSCHKA: MEIN LEBEN. Bruckmann-Verlag, München 1971. 320 Seiten, 30 Abbildungen, davon 4 farbig. S 112.80.

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