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Unschuldige Kinder

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„Unschuldige Kinder" - diesen außergewöhnlichen „Namenstag" bietet der Kalender für den 28. Dezember an. Dieser Tag will an die früheste Kindheit Jesu Christi erinnern. An eine Kindheit, die von einer biblisch gebildeten Mutter einmal so kommentiert wurde: „Gott sei Dank hat mein Kind nicht so eine Kindheit gehabt wie das Jesukind."

Bekanntlich sollte ja Jesus nach dem Willen des König Herodes schon als Kleinkind ermordet werden. Gerettet wurde er nur durch die Flucht seiner Familie nach Ägypten, die nicht annähernd so idyllisch war, wie sie der Meister vom Schottenstift „nachempfunden" hat.

Der Tag der „Unschuldigen Kinder" bietet ein Stück Jesusgeschichte an, dem vom barmherzigen Kitsch längst der Garaus gemacht worden ist: das leidende Jesuskind. Aber warum sollte man empfindsame Kinderseelen mit derlei erschrecken, wo es doch erfreulicherweise so viele liebliche Bilder gibt, die den „Ausflug" der heiligen Familie nach Ägypten so „kind-gerecht" darstellen?

Nur ein Tag im Kalender will - zartfühlenderweise - an den Kindermord in Bethlehem erinnern, an ein Massaker unter „unbeteiligten" Buben bis zum zweiten Lebensjahr, um auf jeden Fall damit auch das Christkind unschädlich machen zu können.

Heutige Menschen fragen erwartungsgemäß zuerst einmal, warum Gott so etwas zugelassen habe, und vergessen dabei allzu leicht, daß gerade in unserer Welt das Leid ein Kindergesicht hat. Und die Zeitgenossen lassen das bis dato zu.

Unfaßbar sind die Leiden der Kinder. Sie sind die Opfer, die Flüchtlinge. Buben unter 14 Jahren werden als Soldaten hingeschlachtet, mit Babies wird Rauschgift geschmuggelt. Neugeborene in der Dritten Welt bekommen nicht einmal einen Namen - sie sterben ja doch in wenigen Tagen. Kinder vor einer evangelischen Kirche in Temesvar wollten mit brennenden Kerzen zum Frieden einladen und wurden ermordet.

Im Mittelalter haben die Kirchen am Gedenktag dieser „Erstlingsmärtyrer" ein Fest der Schüler und Ministranten gefeiert. Höhepunkt des Festes war eine Prozession mit einem „Kinderbischof" an der Spitze. Dieser Kinderbischof war so ungefähr genau das Gegenteil von dem, was man heute darunter versteht.Dieser Kinderbischof, nämlich ein Kind, fragt die Erwachsenen, was sie den Kindern alles angetan haben und zieht sie zur Rechenschaft. Je nachdem teilt er Lohn oder Strafe aus. „Na wart nur, wenn der Kinderbischof kommt" haben die Kinder damals gerne gesagt. Dieses Fest ist auch in Österreich gefeiert worden.

Wir sollten es schleunigst wiederfeiern. Denn das Leid dieser Welt hat ein Kindergesicht.

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