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Urlaubsspätlese

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Als neulich meierliche Urlaubsgrüße im Briefkasten steckten, überfielen mich bereits düstere Vorahnungen: die nächsten Dias kommen bestimmt! Werden die Abende länger und die Alibi-Spaziergänge kürzer, fällt früher oder später die freundliche Aufforderung: Kommt doch auf einen gemütlichen Plausch — Ihr habt ja unsere Urlaubsfotos noch nicht gesehen... „Hilfe!", morst das

Hirn, und „Ja, gerne, wie interessant!" lüge ich wie all die Jahre bisher.

Der Termin ist ausgemacht — daß just an diesem Abend ein Film läuft, den wir beide gern gesehen hätten, empfinden wir als straf verschärfend.

Auf unser Klingeln öffnet Herr Meier im legeren Buschhemd: „Die gab's ganz billig in Delhi!" (im Kaufhaus an der Ecke auch!) Seine Frau sah wie ein eben im Schlüpfen begriffener Engerling aus, wobei sie allerdings ums Gegenteil bemüht schien^ nämlich ellenlange Stoffbahnen immer wieder irgendwie um ihre quellenden Rundungen zu zerren, ohne einen rechten Halt für Anfang oder Ende zu finden. „Ein Sari schmückt doch jede Frau, findet Ihr nicht? ... und so bequem!" Im letzten Moment bewahrte der Hausherr seine sich endgültig verheddernde Süße vor einem Sturz in sechs Meter golddurchwirkte Seide, dann durften wir ins Wohnzimmer.

Meiers waren in Indien gewesen, das ließ sich nicht übersehen: Ein schwüler Qualm von stimmungsvoll glosenden Räucherstäbchen schlug uns entgegen, ich konnte den Reizhusten nicht mehr unterdrücken, und Meiers meinten jovial, das gäbe sich gleich nach einem Schlückchen grünen Tees. Im Verlauf des Abends bemühte ich mich krampfhaft, nicht mehr zu hüsteln, um diese Teegefahr nicht nochmals heraufzubeschwören ...

Man zeigte Stil: auf allen Servietten tanzte Schiwa; Karotten, Gervais und Gurken am Vorspeiseteller belehrten uns über die Landesfarben. Erfreut begann ich mit dem erfrischend aussehenden Genuß, da schüttete der Herr des

Hauses aus einer pagodenartig geformten Flasche eine grünlich schillernde Sauce darüber, die im Nu einen bestialischen Geruch nach fauligem Fisch verbreitete. „Ihr sollt es doch original kennenlernen", flötete seine Süße, den schwabbelnden Segen über ihrem Teller nur mäßig andeutend.

Mein Bester stammt noch aus der Zeit: was auf den Tisch kommt, wird gegessen — vielleicht war er auch sehr hungrig — jedenfalls: er schaffte es, ich nicht. Meine böse Hälfte warf mir einen Triumphblick zu: er wußte ja, daß ich in Anbetracht des zu erwartenden opulenten Abends tagsüber gefastet hatte...

Eineinhalb Stunden flimmerten dann ununterbrochen sich ähnelnde Tempel und Aschoka-Säulen, wieder Tempel und noch mehr Säulen vor unseren brennenden Augen, von Herrn Meier mit einer ungeheuren Vielzahl unaussprechlicher Namen belegt, die mein Bester in seinen wenigen wachen Momenten auf gut österreichisch zu wiederholen versuchte: „Wo war das, dieses Shasansa-ni stinktutu?", heuchelte er Interesse, wofür ich ihn hätte würgen können, hatte es doch zur Folge, daß besagtes Bildchen nochmals zurückberufen und neuerlich erklärt wurde.

Einige Male kam es zwischen dem Ehepaar zu kleinen Unstimmigkeiten, wenn er erklärte, eben sähen wir Bhuwaneschwar, sie hingegen darauf bestand, das sei doch Daschavatar oder umgekehrt. Die Einigung nahm dann längere Zeit in Anspruch, denn sie wollten uns doch bei Gott nichts Falsches beibringen ... wo mich doch ohnehin alles anödete!

Das einzige, was mich noch aufrichten konnte, waren die immer wieder dazwischen eingestreuten Familien-Intimitäten: Muttchen am Golf von Bengalen ... und hier, ganz flott: Muttchen im Indischen Ozean ... und da, richtig keß: Muttchen im Arabischen Meer...

Endlich schien ein passender Einschnitt der Reise gekommen zu sein: Meiers baten zur Hauptspeise! Mein bereits erheblich knurrender Magen frohlockte, um sich beim genaueren Anblick des Dargebotenen sofort wieder gekränkt zusammenzuziehen. Es war, wie gehabt: mein Bester schlug zu, ich kaute gequält an einer Omelette mit Hirsefüllung herum und ließ Vogelnester, Seetang und eine Art getrockneter Kuhfladen mit dem allseits bedauerten Hinweis auf meine Gebrauchsgastritis unberührt vorübergehen. (Hinweis für den medizinischen Laien: eine GbG ist eine Gastritis, die man fühlt, wenn man sie braucht, sehr zum Unterschied zur echten Gastritis, die man fühlt, wenn man sie nicht brauchen kann!)

Nach dem Mahle hielten uns unsere Gastgeber genügend gestärkt für zwei weitere Stunden Dia-Kultur. Zur Intensivierung der Folter legten sie jetzt auch noch untermalende indische Musik auf. Wieder flitzten Tempel über Tempel vor uns dahin — dazu durften wir jetzt zur Verdauung etwas schlürfen, was mich stark an angewärmte Molke erinnerte ...

Aus jedem Alptraum gibt's ein Erwachen: Lange nach Mitternacht verabschiedeten wir uns starr und glücklich lächelnd, immer wieder beteuernd, wie lehrreich und umfassend dieser Abend war und ernteten dafür die Versicherung, seit langem die weitaus interessiertesten Gäste gewesen zu sein.

Aber tief in meinem Inneren schwor ich Rache: Im nächsten Urlaub knipsen wir auch!

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