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Von fremden Sprachen und ihren Meistern

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Wer die Sprache als menschliches Ausdrucksmittel und Werkzeug des kreativen Geistes liebt, weiß um die Schwierigkeiten, eine gute Übersetzung zustande zu bringen. Je treffender eine Aussage ist, umso problematischer ist in der Regel die Übertragung. Je tiefer man in ein fremdes Idiom eindringt, desto deutlicher erscheint die Diskrepanz zwischen Original und Übersetzung.

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Wer die Sprache als menschliches Ausdrucksmittel und Werkzeug des kreativen Geistes liebt, weiß um die Schwierigkeiten, eine gute Übersetzung zustande zu bringen. Je treffender eine Aussage ist, umso problematischer ist in der Regel die Übertragung. Je tiefer man in ein fremdes Idiom eindringt, desto deutlicher erscheint die Diskrepanz zwischen Original und Übersetzung.

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Wie farblos wirkt zum Beispiel der deutsche Text des Duetts „Reich mir die Hand, mein Leben” in Mozarts Don Giovanni, wenn Zerline auf die Verführungskünste der Frauenhelden mit einem lächerlichen, Ach, darf ich es wagen?” antwortet. Da Ponte hat dagegen mit vier Worten („Vorrei e non vorrei” - ich möchte und ich möchte nicht) zeitlos und in völlig unübertroffener Weise zum Ausdruck gebracht, was eine Frau in dieser folgenschweren Situation empfindet. Oder erinnern wir uns an den pfiffigen Diener Leporello, wenn er die Auseinandersetzung seines Herrn mit Donna Anna mit den Worten „Qui nasce una ruina” - hier wird eine Ruine geboren - kommentiert.

In seltenen Fällen kann die Übersetzung einer bestimmten Stelle die Aussagekraft des Originals übertreffen. Diese Behauptung, die manchen Germanisten in Rage bringen dürfte, soll durch ein Beispiel aus Goethes Faust (Osterspaziergang) erhärtet werden:

Soldaten: Burgen mit hohen Mauern und Zinnen, Mädchen mit stolzen, höhnenden Sinnen, Möcht ich gewinnen!

Soldiers: Citadels high Fortifications, Girls that deny Love's invitations With pride in their eyes To bring to Submission Is my ambition. (Übersetzung: Philip Wayne)

Diese freie Übersetzung ist auch durch die Länge des englischen Textes bemerkenswert. Allgemein wird ja die deutsche Sprache für besonders kompliziert gehalten. Der spanische Philosoph und Diplomat Salvadore de Madariaga verglich in seinem Buch „Portrait of Europe” den Satz „I drop-ped my gloves” mit „Der Handschuh ist heruntergefallen” - in deutsch fürwahr eine seltsame Konstruktion, als ob die Schwerkraft einen Gegenstand auch hinauffallen lassen könnte!

Mitunter werden extrem schwierige Texte in freier Nachdichtung auch fremdsprachigen Liebhabern zugänglich gemacht. Einige großartige Beispiele machen dies deutlich:

Goethes „Zauberlehrling”:

Walle! walle Manche Strecke, Daß zum Zwecke Wasser fließe,

Und mit reichem, vollen Schwalle

Zu dem Bade sich ergieße!

Herr, die Not ist groß! Die ich rief, die Geister, Werd ich nun nicht los.

Hurry, scurry Heiter skelter Water welter Rush and rumble

And with gush and flush and flurry Splash! into the bathtub tumble!

Now there's hell to pay! The spirits I called up, sir, They just won't go away, (Übersetzung: Stanley Mason)

Aus La Fontaines:

„Le Corbeau et le Renard”

Le corbeau, honteux et confus Jura, mais un peu tard, qu'on ne l'y prendrait plus.

Reuig und verspätet schwört der Rabe, daß ihn keiner mehr zum Besten habe. (Übersetzung: Hanno Helbling)

Was man kaum für möglich hält: Selbst 30 Galgenlieder fanden in Andre^ Thenve einen kongenialen Übersetzer ins Französische. Hier zwei Kostproben aus „Pierrot Pendu”:

Christian Morgenstern: „Die beiden Esel”

Ein finstrer Esel sprach einmal zu seinem ehlichen Gemahl: „Ich bin so dumm, du bist so dumm, wir wollen sterben gehen, kumm!” Doch wie es kommt so öfter eben: Die beiden blieben fröhlich leben.

M. Baudet disait avec tristesse ä madame sa chere anesse: - Non, je suis trop bete vraiment Non, tu es trop bete vraiment... Allons, allons de ce pas nous perir d'un beau trepas! -Mais ca se produit si souvent que le menage est bon vivant.

Christian Morgenstern: „Das Knie”

Ein Knie geht einsam durch die Welt, Es ist ein Knie, sonst nichts! Es ist kein Baum! es ist kein Zelt! Es ist ein Knie, sonst nichts!

Im Kriege ward einmal ein Mann erschossen um und um. das Knie allein blieb unverletzt als wär's ein Heiligtum.

Seitdem gehts einsam durch die Welt, Es ist ein Knie, sonst nichts! Es ist kein Baum! es ist kein Zelt! Es ist ein Knie, sonst nichts!

Un genou tout seul, tout nu, s'en va sur la vaste terre; sans racine ou pied fourchu, c'est un genou, rien de plus.

II y eut dans les batailles, navre d'estoc et de taille, un guerrier qui en mourut... mais son genou survecut, sauve par quelque medaille. depuis lors a parcouru tous les chemins de la terre. sans racine ou pied fourchu, c'est un genou, rien de plus. Und was macht ein Mensch, der nur kein begnadeter Übersetzer ist, sondern überhaupt nur ungenügend Fremdsprachen beherrscht? Er muß den Mangel durch Anpassungsfähigkeit ersetzen: In der Levante kommt man im allgemeinen mit Englisch ganz gut durch. Verständigungsschwierigkeiten können allerdings mit Damen der älteren Generation entstehen, die in früheren Zeiten meist französisch erzogen wurden. Darunter hatte die Frau eines finnischen Diplomaten zu leiden, die weder der arabischen noch der französischen Sprache mächtig war. Dessen ungeachtet ging sie tapfer zu gesellschaftlichen Veranstaltungen, trotz ihrer deutlich sichtbaren Schwangerschaft. Nachdem sie bei einem Damentee - stumm und ohne der französischen Konversation folgen zu können - lange Zeit ausgeharrt hatte, klopfte ihr die syrische Gastgeberin bei der Verabschiedung auf den dicken Bauch und wünschte „Happy birthday”.

Man kann aber auch Trost bei Goethe suchen, der im Alter von 77 Jahren behauptete, daß er die englische Sprache und Literatur seit einem halben Jahrhundert studiere. Und doch liest man bei Eckermann: „Da ihm” (Goethe) „die englische Handschrift” (ein Brief von Walter Scott) „etwas sehr unleserlich vorkam, so bat er mich, ihm den Inhalt zu übersetzen.” Warum wohl hat sich Goethe den Brief nicht vorlesen, sondern in die deutsche Sprache übertragen lassen?

Quellen: Goethe: Faust - The Penguin Clas sics/Neue Züricher Zeitung/Morgenstern: Pierrot Pendu de rimprimerie de Jacques Hau-mont, Paris 1943.

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