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Weltgeschichte(n)

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„Sire“, sagte eine sehr leise Stimme, „wie ich Ihren wirren Träumen entnehme, plagen Sie sich mit der Politik der achtziger Jahre herum. Wollen Sie wirklich wissen, wie die achtziger Jahre aussehen werden?“

,Hier obwaltet ein gewisses Mißverständnis“, flüsterte Kreisky zurück, „ich denke nicht darüber nach, wie die Politik der achtziger Jahre aussehen wird, sondern darüber, was ich jetzt darüber auf dem Parteitag sagen soll. Aber wer sind Sie eigentlich.?“

„Ich bin Louis XIV.“, sagte die Stimme.

„Und warum erscheinen Sie ausgerechnet mir?“ fragte ein aufs äußerste erschrockener Kreisky.

„Wegen der Verwandtschaft“, sagte die Stimme, „wegen der vielen Parallelen zwischen uns. Vielleicht wissen Sie es nicht, ich will es Ihnen sagen: Nicht nur Sie werden Sonnenkönig genannt, auch mir galt einst, als ich noch lebte, dieses Attribut!“

„Zurück ins Reich der Träume! Sonst wache ich nach endgültig auf“, sagte Kreisky ärgerlich, „Sie sind ein König, und ich darf eigentlich nicht mit Ihnen verkehren!“

„Auch ich habe überlegt, ob ich Ihnen erscheinen soll“, sagte Louis XIV., „aber ich bin zu dem Schluß gekommen, daß ich es mir eigentlich schon leisten kann. Eigentlich sind wir Monarchen der Ver-

gangenheit nämlich mit Ihnen ganz zufrieden. Sie haben unser Erbe gar nicht so schlecht verwaltet!“

„Gipfelpunkt der Verleumdung!'' rief Kreisky, „wenn das meine Genossen hören!“

„Die können nichts mehr daran ändern“, sagte Louis, „das ist ja das Schöne daran. Sie sind nicht nur ein Sonnenkönig, sondern haben auch den Absolutismus noch einmal erfunden.“

„Dos hat allerdings einiges für sich“, sagte Kreisky, „ich hätte nicht geahnt, daß ein König von Frankreich meine Qualitäten so zu würdigen weiß. Erscheinen Majestät doch dem guten Giscard und teilen ihm Ihre Meinung über mich mit!“

„Mit Giscard habe ich den Verkehr

abgebrochen“, sagte Louis, „er versteht nicht die Zeichen der Zeit, er ist kein echter Konservativer. Sie sind ein Mann meiner Art, mit Ihnen kann ich reden.“

„Ich — ein Konservativer?“ stotterte Kreisky.

„Natürlich“, sagte Louis, „ich habe zum Beispiel mit wirklich frohem Herzen beobachtet, wie Sie alle alten Privilegien unter dem Vorwand, sie abzuschaffen, neu installiert und ausgeweitet haben. Daß sie jetzt anderen Leuten zugute kommen, tut doch nichts zur Sache. Daß es sie gibt, ist wichtig. Oder wie sie das Volk nehmen — nur ein Mann, der so über das Volk denkt wie ich, kann es so gut behandeln, wie Sie. Bei mir durfte jeder ungehindert bis zur Spiegelgalerie von Versailles, dafür kennt jeder Ihrer Untertanen Ihre Telephonnummer.“

„Ich habe keine Untertanen“, schrie Kreisky schweißgebadet, „in diesem Lande gibt es nur mündige Staatsbürger!“

„Ja, davon konnte ich auch meine Franzosen zeitweise überzeugen“, sagte die Traumstimme, „übrigens, wissen Sie, was ich wirklich bewundert habe? Wie Sie es geschafft haben, Ihre Minister auf den ihnen gebührenden Platz zu verweisen. Wie sie den Mund halten! Wie Sie alle Ihre Entscheidungen treffen! Ich habe dazu eine dynastische Legiti-

mation gebraucht, wie machen Sie das eigentlich?“

„Ich“, sagte Kreisky, „habe die Legitimation der Kompetenz!“

„Ach“, sagte da der Sonnenkönig, „wenn ich doch noch einmal von vorne beginnen könnte — im Besitze Ihres Beispieles! Es hätte dann niemals eine Französische Revolution gegeben...“

„Und die Franzosen wären dann

am Ende noch immer die Revoluzzer, die sie waren“, sagte Kreisky erwachend, „es ist schon alles gut so, wie es ist.“

„Das steht im Candide und ist von Voltaire“, sagte Louis.

„Oh, Androsch...“ sagte Kreisky, nun wach, aber noch in seinem Traum befangen, zu Androsch, der an sein Sofa eilte, „reiche er mir die Waschschüssel...“

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