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Wie gut, Autor zu sein

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Es gibt keinen schöneren Beruf als diesen ärgsten aller Berufe, der nachweisbar ärger ist als alle anderen ärgsten Berufe, die von ihren in Haßliebe sich verzehrenden Angehörigen als solche ausgegeben werden. Nein, es gibt keinen schöneren als den Beruf des Schriftstellers, und dies aus ganz anderen Gründen, als die anderen meinen.

Nur der Autor literarischer Werke hat jedoch ein Vorrecht, das ihn hoch über die anderen erhebt. Er kann Nutzen ziehen aus dem Bösen, aus dem Widerwärtigen, aus dem Mißlingen, aus dem Unerfreulichen, ganz persönlichen Nutzen, ohne dabei amoralisch zu handeln und sich gegen die Gesetze des Ethos zu vergehen. Er kann eigenes und fremdes Leid produktiv und positiv zu seinem eigenen Besten auswerten — aber das ist nicht etwa materiell zu verstehen. Im Gegenteil, darunter hat er selbst zu leiden, der echte Schriftsteller, daß er Geld bekommt, wenn er fremdes Leid gestaltet, das ist eine seiner tragischsten Heimsuchungen: die Not der schlesischen Weber erschütternd darzustellen und sich vom Erlös eine komfortable Wohnung einzurichten, den grausamen Tod zu beklagen, um davon geruhsam leben zu können. Aber nicht darum lobe ich die Schrift-stellerei und ziehe sie allen anderen Berufen vor, sondern um ihrer großen Möglichkeiten willen, recht zu behalten.

Wer von uns leidet nicht mit geringen Unterbrechungen Tag und Nacht? Wer von uns wird nicht in kurzen Abständen immer wieder enttäuscht? Wer fühlt sich nicht ohnmächtig angesichts des mangelhaften Zustandes der Welt? Die Frauen sind treulos, die Ämter übermütig, und auf die Freunde ist kein Verlaß. Der Nicht-schriftsteller wird angesichts jeder Enttäuschung kleinmütig, schreibt jede Erfolglosigkeit seinem eigenen Ungenügen zu. Der Schriftsteller aber stellt sich gegen alle Widrigkeit, indem er sie formuliert, ja: weiter nichts als formuliert.

Er wird beim Katasterbemessungsamt sinnlos von Schalter zu Schalter geschickt. Er geht heim und schreibt einen Roman, eine Novelle, ein Drama, eine Skizze, deren Held beim Katasterbemessungsamt sinnlos von Schalter zu Schalter geschickt wird. Ein Mädchen verläßt ihn um eines Jünglings mit bunter Krawatte willen. Er schreibt, daß die Mädchen bunte Krawatten den geistigen Werten vorziehen. Er sucht eines

Leidens wegen Ärzte auf und merkt, daß sie ihm nicht helfen können, aber dies zuzugeben unterlassen. Er schreibt ein Ärztestück, einen Ärzteroman, eine Satire.

Und beim nächsten Weg zu Ämtern, Mädchen oder Ärzten wird er sich, wenn alles wieder wird, wie es werden muß, nicht gefoltert, gedemütigt, verraten, nicht unterdrückt, vom Pech verfolgt, minderwertig vorkommen, sondern er wird sagen: „Stimmt!” und wird sich lustvoll bestätigt fühlen. Er wird förmlich darauf warten, daß alles schiefgeht, wird das Unheil lächelnd in Kauf nehmen ... ja, ja, so ist es, genauso muß es sein, denn genauso hab* ich's dargestellt, welch einen großen Schriftsteller hat doch die Welt an mir!

Den Weltverbesserern sind selten greifbare Erfolge beschieden, vor allem zu ihren Lebzeiten. Der Schriftsteller aber, vom gleichen heiligen Ethos beseelt, ändert die Welt nicht, versucht dies auch gar nicht, sondern hält sie fest, wie sie ist. Seine Leser und seine Kritiker mögen ihn darum tadeln, aber sie verkennen Sinn und Absicht seines Tuns.

Jenseits von Auflagen, Honoraren und äußeren Ehren besteht sein Erfolg darin, dem eigenen Gemüt wohlzutun, indem er alles, was weh tut, vorwegnehmend bannt, indem er dem Negativen rundum sein Minuszeichen vorsetzt und so für seine Person aus zweifacher Verneinung die heilsame Bejahung schöpft.

Sollte es aber einmal geschehen, daß ihm ein Amt entgegenkommend, ein Mädchen huldreich, ein Arzt hilfreich begegnet, wird er darum auch nicht aus seiner überlegenen Gelassenheit gerissen und an sich und seinem Tun irre werden. Er wird nicht denken: Was für ein schlechter Schriftsteller bin ich doch! Nein, er wird jubeln: Was für ein großer Schriftsteller scheine ich zu sein, daß um meinetwillen eine Regel durchbrochen wird, daß mir zuliebe das Amt, das Weib, der Arzt über sich und sein gemeinsames Alltagsversagen hinauswächst!

Und welcher Beruf sonst als dieser eine könnte dies einem Sterblichen vermitteln: aus dem Rechtbehalten wie aus dem Lü-gengestraftwerden mit Berechtigung das Bewußtsein eigener Größe zu gewinnen?

Leicht gekürzt aus dem Buch „Nach wie vor Wörter , das demnächst im Verlag Styria, Graz, erscheinen wird.

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