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Zigeunersommer

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Wie romantisch, ihr zeltet mit den Kindern!” Dumme Gans, würge ich hinunter und kann beim besten Willen nichts Romantisches daran finden, daß wir uns zu fünft kein Hotel im teuren Frankreich leisten können. Da wir trotz staatlicher Devisenspar-aufrufe unsere Sprachkenntnisse aufpolieren wollen, fällt der Beschluß: Zigeunersommer.

Die generalstabsmäßigen Vorbereitungen zogen sich über Wochen. Mein Mann warf mir vor, wieder einmal auf Zimmer/Küche/Kabinett nicht verzichten zu wollen und schleppte eifrig technisches Schwergewicht von Pumpen, Kanistern, Werkzeug und Fotoausrüstung wie für eine mittlere Amazonassafari an.

Die Stunde der Abfahrt war für drei Uhr morgens anberaumt und von solch ruhegebietendem „pscht, pscht” begleitet, daß die ganze Gasse in den Genuß unseres Aufbruchs gekommen sein mußte.

Daß uns entgegenkommende Autos anblinkten, hielten wir solange für Freundlichkeit, bis wir beim ersten Rastplatz überlauerten, daß die Scheinwerfer unseres Vehikels dank seiner Hinterlastigkeit so richtig in Blendhöhe waren,

Bis dahin hatten die beiden Kleinen, gemäß einer Wette, wer unterwegs mehr zu mampfen imstande wäre, die mitgenommene Schüssel mit Krautsalat für fünf Personen leergefressenen, und wirkten jetzt etwas blaß, dafür aber wesentlich ruhiger.

Die folgende Lastenumverteilung wurde mit dem Erfolg vorgenommen, das Vergnügen der bisher gepreßten linken Füße auf die rechten Arme zu leiten und umgekehrt. Daß die platzsparend aufgelegten Schlafsäcke nur mehr ein krümelrieselndes Kuddelmuddel bildeten, rechtfertigte die Tochter drohend: „Wenn ich nicht esse, wird mir schlecht, und dann...!”

Die anstrengende Anreise war ein pädagogisches Jonglieren zwischen Kompromissen, Repressalien und Versprechungen, bis wir am Nachmittag endlich den von uns erkorenen Zeltplatz ansteuerten.

Mit einem freundlichen „Je regrette, Madame, il vous faut re-server longtemps en avant” zerstörte ein rundlicher Platzwart all unsere Hoffnungen.

Ich dachte, unter Gottes freiem Himmel einmal keine Reservierung zu benötigen, aber „Frau

Berg Heil! (Karikatur G. Pasteur) denkt und Gott lenkt” alle Zeltler auf denselben Fleck!

Diese Enttäuschung wiederholte sich noch zweimal, bis wir auf einer mistralüberbrausten Hochebene landeten und unter dem Gemaule der Kinder - „Da kann ma ja net amol baden!” - auszupacken begannen.

Im Nu hatten wir den Platz in einen Flohmarkt mittlerer Größe verwandelt: neben-, unter- und übereinander häuften sich die Utensilien einer modernen Nomadenfamilie, und immer noch quoll es aus dem Wagen.

Trotzdem konnte in dem Haufen von Stangen, Bahnen, Härin-gen und Stricken auch nach intensivem Wühlen kein Hammer entdeckt werden. Hilfreiche Nachbarn sprangen ein — der Leihhammer brach, und ein steinerner Faustkeil zeigte uns drastisch die Entwicklung durch die Jahrtausende.

Seit ich vor einigen Jahren den Sack mit den Zeltstangen gleich am ersten Urlaubstag am Mittelfußknochen plazierte und während der folgenden Wochen Gelegenheit fand, die Anatomie des Gehens zu studieren, bin ich beim Aufstellen etwas zurückhaltender geworden.

Ich begnüge mich, im Chaos eine strategisch günstige Position zu beziehen, um Direktiven zu geben. „Diese Triangel war immer vorne” — Sie zwängen ihn mit Gewalt hinein und verbiegen ihn. „Nein, der war doch immer hinten ...”

Ohne meine wertvollen Instruktionen haben sie das Zelt binnen kurzer Zeit aufgestellt, die Nudelsuppe brodelt verführerisch duftend. Mit der Dämmerung schien sowas wie Vorfreude auf einen heimeligen Abend einzukehren, die ich mit gekonntem Hüftschwung, der die Suppe vom Kocher fegte, um eine gute Viertelstunde zu verlängern wußte.

Schweigendes Putzen und Aufsetzen eines neuen Topfes belehrten die Umgebung, daß Mutter das Mißgeschick widerfahren war...

Der Abendstern funkelte am türkisfarbenen Firmament, das Gaslicht summte, die Gelsen auch. Die Suppe war ausgelöffelt, und die Kinder fanden es — ausnahmsweise einmal einstimmig — „unheimlich super”. Mein Mann betrachtete die Blasen an seiner Rechten, ich versuchte, meinem ziehenden Kreuz eine bessere Stellung zu verschaffen — aber rundum war ein Gefühl glücklicher Geborgenheit.

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