6976679-1985_48_37.jpg
Digital In Arbeit

Zwischen Morgen und Gestern

Werbung
Werbung
Werbung

Eine sanfte Lampe strahlte über die Häupter der zwei Menschen ihr stilles, fast ziseliertes Licht aus; durchsichtig wie Mückenflügel küßte es den Scheitel der blonden Frau — war denn nicht dieses schlichte Gelock einst wallend blond gewesen, unter einem breitgeränderten und flatterhaften Strohhut hervorquellend? In einem fernen, fernen Park mit noch wintertrüben Weihern, daran sich der Gärtner Geringes zu schaffen machte.

Der Sinnende ihr gegenüber erschrak vor der plötzlich berufenen Spiegelung im bläulich bepuderten Glasschein der Jahrzehnte; er ging noch einmal Arm in Arm mit dem jungen Mädchen in einem sehr natürlichen, dem durchlässigen Kalkboden des Landes verschwisterten Tageslicht dahin, schritt in den Tag hinein, ins Neue; wenn das Schicksal sich damals die Mühe gemacht hätte, sie beide zusammenzugeben, er wäre gern dabeigewesen, aber die treibende Macht hatte anderes vorgehabt und nun eine fremde Besucherin gesandt, als solle es gelten, dem Mann am Tische zu beweisen, wie er im Taumel seines Tagtraumes unausgesetzt zwischen Entscheidungen schwankte, die dann doch eine lichtere Hand für ihn traf.

Unwillkürlich mußte er an die zwar elegante, aber bedrückend ausgeräumte Wohnung der Frau denken, in der er neulich zu Gast gewesen war; an den ungehörig großen Hund, eine schwarze Dogge, der seine Vorderläufe zwischen Sofa und Fauteuil reckte, den Bücherschrank, der ein wenig nutzlos an der Wand stand.

Und er entsann sich schnell, über die vielen Jahre hinweg, jenes jungen Menschen seines Namens, der in der Pointe den Scherz und im Effekt die Größe gesucht hatte; der gewissermaßen mit Urteilen von außen her überkrustet war, die er als seine wahre Haut trug, mit einer laxen Souveränität allem Unrationalen gegenüber und einem Besserwissen vor dem lieben Gott; er sah den jungen Mann in lustloser Fröhlichkeit Gläser heben und mit gutmütig falscher Stimme einen Chor unterstützen. Alles Abgeworfene und Verworfene der letzten Jahre wurde in ihm lebendig. Die warnende Aufzählung war wohl einem kleinen Jüngsten Tag verwandt: alles kehrt unvergessen wieder, man mag es sehnsüchtig verleugnen wollen, in die Ewigkeit duftet die Ruhelosigkeit der Zeit, von der Wand der Vergangenheit tönt unverschollen das Echo der Tat.

Der junge Mann damals sah von seinem Standort aus das Paar unter der heutigen Lampe, welche eine Wohnung erhellte, deren Inhaber im Mannesalter stand und übrigens er selber war. Der Einstige wunderte sich nicht anders als der Jetzige über die Unbarm-herzigkeit, daß Ereignisse niemals rückgängig gemacht werden können, nie ungeschehen, unge-wesen sind; immer eines Einzigen Teil bleiben, eines Unteilbaren; wie hatte er gewünscht, neu geboren zu werden, aber der Baum kriecht in seine Wurzel nimmer zurück. Besaß das Leben so wenig Phantasie, oder verlief es in

Rhythmen, die von Zeit zu Zeit an die Ufer der Benommenheit schlagen?

Die Kindheit war versunken beim ersten Tod, der sich an den jungen Menschen herangeschlichen hatte: aber der Schwebezustand zwischen Gestern und Heute — zwischen dem fortwährenden Heute und dem gewußten Gestern - schien unendlich. Ein vielleicht unerreichbares Morgen erst erinnerte daran, daß alles nur Spiegelung sei. Der Mann hoffte auf etwas, was er sich selber nicht ganz zutraute, träumte immer noch ein wenig von einem Glück, das er ausschließlich einem andern, gar einem Zauberer, verdanken sollte. Heute oder morgen? Zärtlich tröstete der Lampe liebes Licht den Scheitel der geneigten Frau.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung