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Zwischendurch

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Zwischendurch sahen wir in FS 2 Tänze und hörten Chöre aus Portugal, sahen wir wie im Traum die grellweiß getünchten Mauern wieder, umrahmt von braunem Stein und geschmückt mit blitzend blauen Kacheln, den Azulejos, sahen den grandiosen Hof der Universität Coimbra, die steinigen Hügel der Beira Alta, den Strand von Madeira und die Klippen der Algarve, sahen die weißen Dreieckstücher wieder an den Flügeln der zuckerhutförmi-gen Windmühlen, sahen die stets aufs neue erschreckende, unglaubliche Weite der braunen Tejo-Mündung zwischen ihren grünen Ufern nahe dem weißen Lissabon, hörten die alten Lieder der Studenten, die zeitlosen Weisen des Volks, das Klirren der Schellen und das Dröhnen der geschlagenen Tongefäße, hörten über den gedrehten und gesprungenen Reigen hinweg die rollend und nasal gezischten Befehle des Tanzmeisters — und waren wieder einmal eine halbe Stunde lang sehnsuchtskrank nach diesem Land, das jeden Besucher verhext mit seiner Freundlichkeit, seiner Schlamperei und mit der Trance seiner halb ekstatischen, halb frechen Fados, sehnsuchtskrank nach Portugal, das allein schon deshalb unser aller Sympathie haben sollte, weil es pausenlos von der internationalen Presse beschimpft und von der UNO verurteilt wird.

Zwischendurch in die Verkehrsrundschau eingeblendet, hatte Alfred Böhm in einer strahlenden Uniform von höchstem polizeilichen Rang einige seiner kürzesten und dennoch hinreißendsten Auftritte, wenn er, todernsten Gesichts, in fingiertem Amtsdeutsch verkündete, man wolle jetzt, da die Wiener Ringstraße endlich Einbahn sei, einen Schritt weitergehen und sämtliche Radialstraßen vom Stephansplatz stadtauswärts zu Ein-bahnen erklären (bitte dies einen Augenblick lang scharf zu überlegen'.), oder wenn er abschließend, größerem Vorbild folgend, die Aufforderung von sich gab: „Wenden Sie sich im Zweifelsfalle vertrauensvoll an mich, Ihren Präsidenten!“ (Bitte auch hier einen Augenblick lang sich zu erinnern.)

Zwischendurch gab es in FS 2 ein Wiedersehen mit Ulrich Schamonis Filmerstling „Er, Sie, Es“ (von den Autoren ursprünglich, in souveräner Unkenntnis so untergeordneter Phänomene wie österreichischer Literatur, „Es“ genannt wie Karl Schön-herrs Theaterstück, was viel urheberrechtliche Aufregung verursachte). Die Retrospektive bestätigte das Unbehagen, das dieses technisch-schauspielerische Meisterwerk 1967 hinterlassen hatte: das Unbehagen beim Blick in eine Welt, in der außer Egoismus, hemmungsloser Tüchtigkeit und dem Streben nach Lustgewinn alle natürlichen menschlichen Regungen degeneriert sind. Nicht die Tatsache, daß es diese Welt, daß es diese Menschen gibt und daß sie wahrscheinlich die Mehrheit sind, ist erschütternd. Entsetzlich ist vielmehr die Beobachtung, daß diese gleichgeschaltete Industriegesellschaft ihre seelische Verfassung für die allein gesunde und normale hält. In dieser Welt, der das Wort „Gott“ nicht einmal aus ferner Erinnerung bekannt ist, kann allerdings ein unplanmäßiger Embryo nur als Eindringling gewertet werden. Weg daher mit dem lästigen Zeug, das ja (ausgerechnet) drei Monate lang nichts ist als ein Haufen wuchernder Zellen. Oder?

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