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Glocken und Glockenspiele

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Von den durch die Glockenabnahme in den Jahren 1940—42 verlorenen Geläuten in Österreich dürften heute schon etwa 60 Prozent wieder voll hergestellt sein; erfreulicherweise sind darunter auch größere Glooken, zu deren Neuschaffung es nach dem ersten Weltkriege vielfach noch nidit gekommen war.

Nur wenigen Kirchen wurde diesmal mehr als eine Glocke belassen, während im ersten Kriege wenigstens die Glocken aus der Zeit vor 1800 unangetastet geblieben waren. Ganz oder annähernd ganz erhalten blieben bei der zweiten Abnahme nur die Geläute von St. Stephan in Wien, Stift St. Florian, Braunau am Inn und Völkermarkt. Da der Bestand der zwei österreichischen Glockenlager nicht mehr der Verhüttung zugeführt werden brauchte, erhielten jetzt auch viele andere Kirchen ihre abgelieferten Glocken ganz oder zum Teile zurück. Ebenso wurden ungefähr 80 Stück au reichsdeutschen Glockenlagern zurückgestellt.

Bei der Ablieferung im Jahre 1915 war die Auswahl der zu erhaltenden Glocken den Denkmalämtern allein überlassen-worden. Im zweiten Weltkriege gelang es, diese Stellen mit dem Gesichtspunkte vertraut zu machen, daß die Glocke ja in erster Linie nicht ein mehr oder minder interessantes Gußstück, sondern ein Toninstrument darstellt; daß also die klanglichen Qualitäten für die Erhaltung einer Glocke ebenso wichtig seien wie historische und künstlerisch-technische Gesichtspunkte. Außerdem machten wir in den beiden Lagern Wien und B r i x-1 e g g mehrere Hunderte von Schallplattenaufnahmen alter Glocken, um so,falls sie zur Verhüttung kommen sollten, wenigstens ihr Klangbild für immer festzuhalten. Da sie natürlich auch photo-graphiert wurden, besitzt man jetzt vollwertige Dokumente für die Arbeitsweise der österreichischen Glockengießer auch der vergangenen Jahrhunderte.

Noch eine andere Feststellung ist erfreulich. In der Konjunktur der ersten Nachkriegszeit befaßten sich auch einfache Metallwarenfirmen mit der Herstellung von Glocken. So gelangten auf viele unserer Kirchtürme Geläute von so minderwertigem Klang, daß ihr neuerlicher Verlust im zweiten Weltkriege, vom Standpunkte des Musikers aus gesehen, nicht gerade als Unglück empfunden werden mußte. Glücklicherweise hat sich diese Erscheinung nach 1945 nicht mehr wiederholt; heute schaffen in Österreich nur Glockengießereien mit fachkundigen Kräften und unter Verwendung von „Rippen“, Werke, die dem klanglichen Idealtyp der „Oktavglocke“ im allgemeinen durchaus entsprechen. Ja vom musikalischen Standpunkt aus darf man ruhig sagen, daß unser heutiger Glockenguß den des 18. und 19. Jahrhunderts qualitätsmäßig übertrifft.

Für die große Opferwilligkeit unserer Bevölkerung spricht es, daß man in den meisten Fällen die Mittel für Vollbronzeglocken beschaffen und damit einem Wunsche der hl. Ritenkongregation entsprechen konnte. Die Preise des Zinns sind infolge der Lage auf dem Weltmarkt leider außerordentlich hoch. Wo man wegen Knappheit der Mittel zu Glocken aus zinnarmer Legierung greift, kann man dies heute auch mit der

Uberzeugung tun, daß unsere Glockengießereien aus dem Material 'die bestmögliche Klangwirkung zu erzielen imstande sind, obschon das Ideal immer noch die Glocke aus Vollbronze (80 Prozent Kupfer plus 20 Prozent Zinn) bleibt.

Stahlglocken werden heute in Österreich nicht erzeugt und müßten daher aus dem Auslande bezogen werden. Dazu besteht praktisch kein Grund, weil ihre Kosten denen der einheimischen zinnarmen Glocken kaum nachstehen; im Falle eines immer möglichen Zerspringens einer Glocke aber bleibt bei einer Stahlglocke fast wertloses Altmaterial zurück, während der Materialwert sogar bei einer zinnarmen noch bedeutend ist. *

Es hat den Anschein, als ob man sich nunmehr auch in Österreich für Glockenspiele zu interessieren begänne. So erhielt im Herbst 1950 Kitzbühel auf dem Turme der renovierten Katharinenkirche ein neues Glockenspiel als Heldenmal für die Gefallenen beider Weltkriege. Um die Durchführung des Projekts hat sich die in Kitzbühel lebende Komponistin Maria Hofer verdient gemacht, die Spielmechanikklaviatur und -walze ist originale Kitzbüheler Arbeit, die Glocken wurden von Pfundner in Wien gegossen. In Salzburg denkt man daran, das weltbekannte Glockenspiel einer Klangreparatur zu unterziehen, desgleichen soll das Grazer wiederhergestellt werden.

Glockenspiele lassen sich nach P. Price (.The Carillon“) in Europa bis mindestens 1552 zurückverfolgen, wo ein Mathys van Maris für Hertogenbosch das einzige von ihm nachweisbare Glockenspiel gegossen hat. In der Folgezeit entstanden hauptsächlich in den Niederlanden, Belgien und Nordfrankreich Glockenspiele. Die meisten sind mit den Namen der berühmten niederländischen Glockengießer Francis und Peter Hemony verbunden, die um die Mitte des 17. Jahrhunderts in Zutphen und Amsterdam gearbeitet haben. Im Jahre 1939 waren von ihnen noch 32 solcher Werke vorhanden. In neuerer Zeit wurden Glockenspiele auch in den USA zu einer beliebten Einrichtung. Nach einer Aufstellung von P. Price gab es vor dem zweiten Weltkriege in Belgien 61 Spiele, davon die größten mit 52 Glocken in Courtrai beziehungsweise Ghent - Beifort; in den Niederlanden 72 Spiele, davon die größten in Rotterdam und Arnheim. Frankreich besaß 40, Deutschland deren 15. Nicht der Zahl, wohl aber der Größe nach steht Nordamerika mit seinen Spielen an der Spitze. Es gab nach den von Professor Percival Price (in seinem bereits zitierten Buche „The Carillon“) dort schon vor dem letzten Kriege 35 Glockenspiele, unter denen die von Chikago (Universitychapel) und New York (Riverside Church) m i t j e 72 Glocken die größten überhaupt sind. Der letzte Krieg vernichtete in Belgien und Frankreich je 6, in Holland 22 und in Deutschland 12 Glockenspiele. Die deutschen Werke stammten zumeist erst aus unserem Jahrhundert; als besonders interessant sei das von Meißen mit seinen Glocken aus Porzellan hervorgehoben.

Glockenspiele können nach Art der „mechanischen“ Musikapparaturen betätigt werden, doch sind für die größeren auch heute noch besondere „Carilloneurs“ bestellt, die das Instrument wie eine Orgel, von einer Klaviatur und einem Pedal aus zum Erklingen bringen und reglmäßig Konzerte veranstalten. Diese Künstler sind auch die Schöpfer einer eigenen Konzertliteratur.

Der Klang eines gut gestimmten Glockenspieles bietet einen eigenartig reizvollen Genuß. Orte mit Fremdenverkehr sollten einer solchen Einrichtung größeres Interesse als bisher zuwenden. Dem Vernehmen nach ist für die heurige Wiener Frühjahrsmesse die Aufstellung eines kleineren Glockenspiels geplant.

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