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Mit „Unser Hitler – Die Österreicher und ihr Landsmann“ haben die Historiker Günther Steinbach und Martin Haidinger ein weiteres Werk zur Zeit des Nationalsozialismus vorgelegt. Der Beginn des Weges, der auch Österreich in den Zweiten Weltkrieg und in die Katastrophe führte, reicht weit in die Geschichte zurück, wie sie im Buch und im Gespräch erläutern. Das Gespräch führte Claus Reitan

Vor 70 Jahren führte Adolf Hitler das „Deutsche Reich“ in den Krieg. Die Historiker Günther Steinbach und Martin Haidinger erläutern im FURCHE-Gespräch die Ursachen und warum sie dazu ein weiteres Buch verfassten.

Die Furche: Wieso noch ein Buch über die NS-Zeit? Was waren Ihre Intentionen?

Günther Steinbach: Über Adolf Hitler wurde viel geschrieben, aber zu wenig mit sachlicher Distanz. Unser Anliegen war, entkleidet von allen – verständlichen – Emotionen, zu fragen: Wer war Hitler, wie war sein Verhältnis zu Österreich?

Martin Haidinger: Weil sich jede Generation dieses Thema, diesen Menschen neu erschließen muss. Hitler ist fast eine Figur einer entrückt virtuellen Welt. Das ist gefährlicher, als ihn als das darzustellen, was er war, nämlich ein Großkrimineller mit Komplizen.

Die Furche: Wir führen dieses Gespräch aus Anlass des 70. Jahrestages des Kriegsbeginns durch Deutschland. Wie konnte der passieren?

Steinbach: Weil Hitler bis dahin relativ erfolgreich Machtpolitik gemacht hat, weil die Demokratie damals den Eindruck erweckte, sich von ihm alles gefallen zu lassen, und weil im entscheidenden Augenblick sich Stalin als Komplize Hitlers zur Verfügung stellte.

Die Furche: Das Appeasement war ein Fehler?

Steinbach: Ich tue mir damit schwer. Natürlich war es ein Fehler. Aber es war für die westlichen Demokratien unmöglich, wenige Jahre nach dem Ersten Weltkrieg ihre Öffentlichkeit zum Widerstand gegen diese Diktatur zu aktivieren. Und man hatte damals ja noch keine Erfahrung damit, was diese Diktatur auslösen wird.

Haidinger: In einer Schweizer Zeitung im Jahr 1935 wurde eine Rede Hitlers über den Frieden für glaubwürdig gehalten.

Steinbach: Jeder hat gerne an den Frieden geglaubt. Wir haben eine unzureichende Vorstellung davon, welchen Schock der Erste Weltkrieg bedeutet hat.

Die Furche: Wird mit Ihrem Buch nicht Hitler seiner Monstrosität entkleidet?

Haidinger: Insofern, als er ja heutzutage in Spielfilmen und Dokumentationen daherkommt wie ein Alien. Das war er nicht. Hitler war kein Monster, sondern, das ist das Anliegen dieses Buches, ein Kind, ein pathologisches Kind seiner Zeit, ein diesem Hexenkessel entwachsenes Produkt. Er war nicht Getriebener, er war Täter. Ein Tätertyp, der die Eigenfrequenz seiner Zeit getroffen hat.

Die Furche: Wieso war die NS-Ideologie in ihren Mythen, in ihren Überhöhungen so bemüht, ihren Anhängern einen emotionalen Bezugspunkt zu bieten?

Steinbach: Das war eine Antwort auf die Zeit, auf das Unbehagen mit der Moderne, gerade in der Mittelschicht. Da hat der Nationalsozialismus angesetzt. Mit der Wandervogel-Bewegung, mit der Blut- und-Boden-Ideologie. Beides hatte seine Wurzeln im 19. Jahrhundert. Die NS-Ideologie fand einen Anknüpfungspunkt, um emotional auf die Mittelschichten zu wirken. Der Katholizismus hatte jedoch eine starke Immunisierungswirkung gegen die NS-Propaganda, wie sich unter den Bauern und übrigens auch in den Wahlergebnissen in den katholischen Regionen Deutschlands, bevor Hitler an die Macht gekommen ist, gezeigt hat.

Die Furche: War der Wahlerfolg der NS-Ideologie der erste, große Rückschlag der Moderne im 20. Jahrhundert?

Steinbach: Die Schwierigkeit, mit der Moderne zurechtzukommen, war eine der Wurzeln des Nationalsozialismus. In Österreich ist die Sehnsucht nach dem gemeinsamen Reich aller Deutschen dazugekommen. Auch als Flucht aus der österreichischen Identitätskrise. Ein katholisch dominiertes Deutsches Reich war das Ziel vieler österreichischer Intellektueller konservativen Zuschnitts. Die haben sich getroffen mit den Liberalen, die erst recht weg wollten von diesem kleinen Österreich in das große Deutsche.

Die Furche: In der Wirtschaftskrise schlitterten einige europäische Staaten in den Faschismus, in angelsächsischen und skandinavischen hielt die Demokratie stand. Oder gilt das nur für die Verlierer des Ersten Weltkrieges?

Steinbach: Wenn wir seriös über Zeitgeschichte sprechen, sollten wir vorsichtig sein mit dem Begriff des Faschismus. Der ist eigentlich eine italienische Spezialität. Sonst gibt es in Europa der Zwischenkriegszeit jede Spielart von Diktaturen. Dass man alles zum Faschismus erklärt hat, ist der Erfolg einer verallgemeinernden Agitation. Aber zum Nationalsozialismus: Der wäre nicht an die Macht gekommen, wenn die Gesellschaft nicht so deroutiert gewesen wäre. Der Erste Weltkrieg hat auch insofern eine Rolle gespielt, weil Hitler eine Verbindung herstellte zwischen der Ungerechtigkeit der Friedensschlüsse nach dem 1. Weltkrieg und der Notlage der Menschen in Deutschland und in Österreich.

Die Furche: Manche sprechen von gegenwärtigen faschistoiden Tendenzen: Ein Schriftsteller hält die Innenministerin für die Mantelmadonna des Alltagsfaschismus in Österreich.

Steinbach: Das richtet sich selbst, nicht wahr?

Haidinger: Die erste bedeutende Biografie zu Hitler, jene von Konrad Heiden, ist von 1935 und trägt den Titel „Das Zeitalter der Verantwortungslosigkeit“. Da war das meiste noch nicht passiert, was Hitler angerichtet hat. Wenn wir von der Wiederkehr von gewissen Phänomenen sprechen, gefällt mir das Wort Verantwortungslosigkeit sehr gut. Ich glaube nicht, dass diese -ismen wiederkehren. Aber die Verantwortungslosigkeit kann wiederkehren, unter jeglichem Mantel.

Die Furche: Es wird gelegentlich die These behandelt, Österreicher seien in der NS-Zeit quantitativ und qualitativ stärker an Verbrechen beteiligt gewesen, als es ihrem Anteil an Bevölkerung und Soldaten entspräche. Was ergaben Ihre Forschungen?

Haidinger: Die österreichischen Nazis hatten eine lange Frustrationsphase hinter sich. Sie waren verboten, hatten sich in Deutschland zur „Österreichischen Legion“ zusammengeschlossen. Das waren 10.000 Leute. Als 1941 die Elite der deutschen militärischen Kraft vernichtet war, sagten Hitler, Himmler und Goebbels, die Österreicher setzen wir dort ein, wo sie sich auskennen, also am Balkan und im Osten. Und sie versprachen diesen 10.000 Leuten, dass sie dort Güter bekommen, wenn sie zugreifen und zuerst in den Lagern dienen, in denen die „Untermenschen“ behandelt wurden. Zur Statistik: Die Österreicher sind weder in der NSDAP noch in der Waffen-SS signifikant überrepräsentiert. Wo sie das waren, ist bei den KZ-Wachmannschaften.

Die Furche: Zwei Aspekte sind Anliegen Ihres Buches. Einer ist der große historische Kontext. Was sind dessen Stränge?

Steinbach: Staaten definieren sich im Zeitalter des Nationalismus über die Sprache. In der Monarchie pflegte die Oberschicht das Deutschtum, alle anderen sprachen Ungarisch, Polnisch, Italienisch und so weiter. Je hinfälliger die Monarchie wurde, desto größer wurde die Attraktion des aufstrebenden deutschen Reiches. Nach dem 1. Weltkrieg hat sich das Problem verschärft. Das österreichische Bürgertum war nicht für Adolf Hitler, ihm ist es auch nicht um den Nationalsozialismus gegangen. Viele waren sogar angewidert davon. Sie haben nur geglaubt, Hitler wird die Österreicher heim ins Reich führen und die Probleme lösen.

Die Furche: Der zweite Aspekt sind die authentischen Erzählungen höchst unterschiedlicher Leben. Was lernt man daraus?

Haidinger: Was ich zeigen wollte, ist, aus welchen Gründen Menschen etwas getan haben, was sich im Rückblick als bedeutend, als historisch herausstellt. Man denke an das Rosenkranzfest. Das gilt für den Soldaten und seine Kriegserlebnisse, für den Widerständler, der sich nicht als Opfer sieht.

Steinbach: Die Fallbeispiele können helfen zu begreifen, dass politische Festlegungen von Menschen nicht so erfolgen, wie es an der Oberfläche aussieht. Nicht alle werden auf einmal Nazis oder Parteigänger anderer politischer Richtungen. Politische Einstellungen sind vielfältig begründet, sodass man einen Fehler macht, wenn man da generalisiert.

Unser Hitler

Die Österreicher und ihr Landsmann

Von Martin Haidinger und Günther Steinbach. Ecowin, 379 S., geb., e 24,-

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