Die Vielfalt realistisch einschätzen

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In der heutigen Kirche prallen traditionale, moderne und postmoderne Strömungen aufeinander. Das beeinflusst auch das Leben von Pfarrgemeinden stark.

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In der heutigen Kirche prallen traditionale, moderne und postmoderne Strömungen aufeinander. Das beeinflusst auch das Leben von Pfarrgemeinden stark.

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Wieder einmal stehen die Wahlen zum Pfarrgemeinderat vor der Tür. Das erzeugt nicht nur Freude. Die erste Begeisterung über diese Möglichkeit der Mitverantwortung des Volkes Gottes scheint mancherorts vorbei. Die Mühen der Ebene haben sich eingestellt. Viele Engagierte haben sich daran abgearbeitet und möchten, dass nun auch einmal andere anzupacken bereit sind. Nur die sind oft nicht in Sicht.

"Wo bleiben eigentlich die Neuen geistlichen Bewegungen?", wird dann gefragt. "Die sind doch in aller Munde, werden von den Bischöfen auch wohlwollend betrachtet. Warum sieht man nichts von ihnen, wenn es um die konkrete Arbeit geht?" - Eine unsachliche Unterstellung? Zumindest wird sichtbar, dass es zwischen den Pfarrgemeinden und den "Bewegungen" ein oft ungeklärtes, manchmal auch gespanntes Verhältnis gibt. Zum beiderseitigen Verständnis kann es hilfreich sein, ihre jeweilige Eigenart und ihr Zueinander näher zu betrachten.

Die "neuen" geistlichen Bewegungen - teil einer wechselvollen Geschichte

Christliche Laieninitiativen und Frömmigkeitsbewegungen hat es immer gegeben. In den letzten 100 Jahren sind bei uns auf der einen Seite zahlreiche christliche Vereine und Verbände entstanden, dazu die Katholische Aktion. Ihnen ging und geht es um die Durchdringung der Gesellschaft mit christlichem Verständnis und Engagement. Auf der anderen Seite entstand eine Vielzahl von Frömmigkeitsbewegungen, die auf eine Erneuerung des geistlichen Lebens in der Kirche abzielten.

Ein Teil von ihnen - namentlich jene Gruppen und Kreise, die zur Bibelbewegung und zur Liturgischen Bewegung beitrugen - hat das Konzil maßgeblich geprägt und ist in ihm aufgegangen. Ihre Grundidee war die Erneuerung des Glaubens aus dem Wort Gottes einerseits und die aktive Beteiligung und Mitverantwortung des ganzen Volkes Gottes in allen Belangen des kirchlichen Lebens andererseits. Ihre Früchte waren die Entdeckung der Bibel und der Gemeinde als prägende Elemente des Katholischen, die Reform der Liturgie mit der Volkssprachlichkeit und dem Volksaltar und die moderne gremiale Struktur der Kirchenleitung, zu der auch der Pfarrgemeinderat gehört.

Während die biblisch geprägten Frömmigkeitsbewegungen im Konzil und seiner erneuernden Kraft für das pfarrliche Leben aufgingen, trat ein anderer Frömmigkeitsstil in den Hintergrund: der marianisch geprägte. Er erschien dem modernen Denken als veraltet und dem Fortschritt im Glauben und Menschsein nicht förderlich. Doch der moderne Fortschrittsoptimismus, der auch das Konzil bestimmt hatte, kam schnell ins Wanken. Die 68er-Bewegung stellte jede Autorität bedingungslos in Frage.

Wenn das die Moderne war: Wie würde die Kirche in ihr noch die Wahrheit verkünden können? So kam es in maßgeblichen Kreisen der Kirchenleitung - selbst in konzilsfreundlichen - zu restaurativen Tendenzen, die von jenen engagiert befördert wurden, die das Konzil ohnedies nicht gewollt hatten. Traditionale Frömmigkeitsbewegungen kamen zu neuen Ehren.

Nur wenige Jahre später erfuhr der moderne Fortschrittsoptimismus durch den Ölschock und den Bericht an den Club of Rome "Über die Grenzen des Wachstums" auch in weiten gesellschaftlichen Kreisen einen merklichen Einbruch. Was die Öko-Bewegten schon lange propagiert hatten, drang nun erstmals ins allgemeine Bewusstsein: Der Fortschritt hat seine Grenzen; der Mensch darf nicht alles, was er kann. Eine nicht abreißen wollende Reihe von Industriekatastrophen (Tschernobyl, Bhopal, Exxon Valdez, Shell und die Ogoni, bis hin zu BSE) hielt das Problembewusstsein wach und führte vor allem bei den Jüngeren zu einem Paradigmenwechsel im Weltverständnis, der als "postmodern" bezeichnet werden kann. In seinem Zusammenhang boomt einerseits eine neue Art von Volksreligiosität, die sog. "Esoterik", andererseits gewinnen charismatische Frömmigkeitsbewegungen neue Beachtung.

Als Folge dieser Entwicklungen beobachten wir gegenwärtig unter uns gleichzeitig idealtypisch drei divergente, heterogene Deutungsmuster des Weltverständnisses und des Glaubens. Alle drei sind katholisch verwurzelt, theologisch rechtgläubig und gemeindlich engagiert. Sie unterscheiden sich in ihrem Verhältnis zur modernen Welt, ihrem Verständnis von Glauben, Kirche und Menschenbild so grundlegend, dass ihr unvermeidliches Aufeinandertreffen laufend zu Konflikten führt. Jene zwischen Gemeinden und Bewegungen sind ein Teil davon. Ebenso bringen sie ein unterschiedliches Verständnis von ehrenamtlichem Engagement mit sich, was die Bereitschaft für eine aktive Beteiligung im Pfarrgemeinderat beeinflusst. Sehen wir uns daher diese Deutungsmuster näher an.

Drei Deutungsmuster des Katholischen - Ehrenamt dreimal anders

* Die Traditionalen sehen die Welt als eine in sich geschlossene gottgewollte Ordnung, die hierarchisch gegliedert ist. Die Priester tragen die Verantwortung für das Volk Gottes. Sie verwalten seine Gnadengaben treu und sind allein befugt, sie gültig auszuteilen. Der Glaubende ist durch die Taufe in diese Ordnung eingefügt und versündigt sich an ihr, wenn er zweifelt. Pflicht, Gehorsam, Anstand und Demut sind zentrale Werte. Die Kirche ist gemäß der Communio-Theologie die Gemeinschaft des hierarchisch gegliederten Gottesvolkes, zu dem jeder beiträgt, was ihm zusteht. Das Ehrenamt ist der dauerhaft verlässliche Anteil an diesem Dienst als Helfer des Klerus.

* Die Modernen wissen sich für eine bestmögliche Gestaltung des Lebens verantwortlich. Die nötige Kompetenz wächst im Dialog. Ihr Glaube hat viele persönliche Akzente und steht in biographischer Entwicklung. Im Kirchenverhältnis gibt es drei Untertypen: Die Gemeindlichen halten mit viel Engagement das kirchliche Leben in Schwung. Die Liberalen erwarten von der Kirche die Sorge um die Moral der Menschen und ein religiöses Service für die, die ihn brauchen. Die Politischen engagieren sich kritisch für die Sache Jesu und erwarten von der Kirche eine Option für die Armen. Die Kirche ist die Gemeinschaft des pilgernden Gottesvolkes durch Zeit und Geschichte. Entsprechend ist sie in der Kraft des Heiligen Geistes zeitbedingten Veränderungen unterworfen Die Laien haben Anteil am allgemeinen Priestertum Christi. Das Ehrenamt ist die Mitverantwortung bei der Arbeit im Weinberg Gottes.

* Die Postmodernen sind betroffen von den unheilvollen Nebenwirkungen der Moderne und fordern einen Paradigmenwechsel. Es gehe darum, der modernen Gottesanmaßung des Menschen die Suche nach den wunderbaren Spielregeln der Schöpfung entgegenzusetzen. Sie sind auf der Suche nach einer neuen christlichen Spiritualität, die ganzheitlich alle Lebensbereiche zu umfassen vermag, ohne hinter ihre modern-wissenschaftliche Betrachtung zurückzufallen. Die Kirche ist für sie die Versammlung der Menschen, die dem Gott ihres Lebens begegnet und daher Berufene sind. Die einzelnen folgen ihrer Berufung, indem sie in ihren Charismen das Reich Gottes mitten unter uns erfahrbar machen. Das Ehrenamt ist Teil des vielfachen Einsatzes für das Reich Gottes mitten unter uns und eine gedeihliche Zukunft der Schöpfung.

Die "Bewegungen" und der Pfarrgemeinderat im Spannungsfeld der Deutungsmuster

Diese Deutungsmuster haben weitreichende Konsequenzen für das kirchliche Leben. Die aktiven Gemeinden sind heute weitgehend modern geprägt. Zu diesen modernen Strukturen gehört auch der Pfarrgemeinderat. Wenn jedoch eine solche Gemeinde von einem in bestimmten Anteilen traditionalen Pfarrer geleitet wird, nimmt er dem Pfarrgemeinderat genau jene Spielräume, deretwegen sich moderne Christinnen und Christen in ihm engagieren. Deren Spiritualität ist in weit größerem Maß, als das sichtbar würde, von geistlichen Bewegungen geprägt. Es sind dies in der Regel Kreise im Umfeld der großen Ordensgemeinschaften. Dorthin ziehen sich Engagierten zurück, um für ihre oft aufreibende Arbeit in der Pfarre geistig "aufzutanken". Eine Pfarrgemeinde kann das bei der Vielzahl der Mitglieder, Glaubensvorstellungen und Grade der Kirchen- und Gemeindebindung auch gar nicht leisten. Sie trägt dafür die Last der Volkskirche, die nach wie vor hierzulande die bei weitem größte gesellschaftsrelevante christliche Kraft darstellt.

Die marianisch geprägten "Bewegungen" sind in ihren Inhalten in der Regel sehr traditional ausgerichtet, ihre Mitglieder sind sozial sehr engagiert und auch als "Helfer der Pfarrers" in den Gemeinden jene unsichtbaren "guten Geister", deren Arbeit oft erst sichtbar wird, wenn sie keiner mehr tut. Werden sie in den Pfarrgemeinderat gewählt, tragen sie dort zur demokratischen Meinungsbildung relativ wenig bei, sind aber gern zu konkreter Arbeit bereit. Ein Spezialfall unter den traditionalen Bewegungen ist das Neokatechumenat, das sich nicht als Bewegung, sondern als eigentlicher Weg des Christseins versteht. Es handelt sich dabei um einen Einübungsweg eucharistischer Frömmigkeit im traditionalen Stil, die wegen ihrer elitären Kompromisslosigkeit zu schweren Konflikten führt. Wo Brücken zwischen verschiedenen Glaubensstilen nicht geschlagen werden, können sie einander auch nicht befruchten.

Postmoderne Glaubensvorstellungen schließlich orientieren sich an der Schönheit der Schöpfung, der Freude am Lebendigen, der Unmittelbarkeit geistlicher Erfahrung und dem Tiefgang eines theologisch ergründeten und wissenschaftlich verantworteten Weltverständnisses. Projekte und Events sind ihre Aktionsformen. Auch manche der inhaltlich traditionalen Bewegungen wirken durch sie anziehend. Bei den charismatischen Bewegungen mischt sich manchmal Modernes und Postmodernes. Postmoderne Ehrenamtliche sind für jedes kreative Projekt zu gewinnen, das Spaß macht und Spielräume eröffnet. Am Sitzungskatholizismus - oft das Stilmerkmal des Pfarrgemeinderates - sind sie nicht interessiert. Sie wollen auch keine christlichen Geselligkeitsgruppen, die kein präzises Ziel und kein absehbares Ende haben. "Opferbereitschaft", die typische Motivation der Traditionalen, ist für sie kein Wert. Eher schon die "Selbstentfaltung", nach der die Modernen suchen, wenn sie ein Ehrenamt annehmen. Deren Dialog- und Konfliktkultur halten sie dagegen für reichlich umständlich. Sie suchen eine Kirche, die sich spirituell tief in Gott verankert und umstandslos fröhlich der Gesellschaft ihre Sonnenseiten abgewinnt, weil man nur so im Schatten nicht erfriert.

Die Vielfalt heutigen kirchlichen Lebens zu entdecken, ist Chance und Herausforderung. Sie realistisch einzuschätzen, erspart manche Enttäuschungen.

Die Autorin ist Universitätsdozentin für Pastoraltheologie in Wien.

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