Ein bißchen katholischer als vorher

19451960198020002020

Nirgendwo auf der Welt sei Papst Johannes Paul II so herzlich empfangen worden wie in Kuba, sagt man auf der Zuckerinsel. Was ist von dieser Euphorie geblieben? Eine Reportage aus Havanna.

19451960198020002020

Nirgendwo auf der Welt sei Papst Johannes Paul II so herzlich empfangen worden wie in Kuba, sagt man auf der Zuckerinsel. Was ist von dieser Euphorie geblieben? Eine Reportage aus Havanna.

Werbung
Werbung
Werbung

In der Calle San Ignacio, die zum großen Platz vor der Catedral, der Hauptkirche Havannas führt, reiht sich Souvenirgeschäft an Souvenirgeschäft. Postkarten, selbstgehäkelte Kleider, Musikinstrumente, Stoffpüppchen, Kitsch und Kram. Immer noch im Sortiment: T-Shirts mit dem Aufdruck von Fidel Castro und dem Papst vor kubanischer Flagge, zehn US-Dollar das Stück, dasselbe Motiv auch als Postkarte. Musikkassetten und CDs mit Aufnahmen der Papstmesse. "Die Papstsouveniers gehen gut, die schwarzen T-Shirts sind schon aus", sagt die Verkäuferin.

"Die Menschen in Kuba waren immer schon religiös. Dazu war der Besuch des Papstes nicht nötig. Daß der Papst nach Kuba gekommen ist, hatte vor allem polittaktische Gründe", meint Toni. An der Situation im Land habe er nichts geändert. Toni arbeitet bei einem der staatlichen Radiosender. Wir sitzen in einem Touristencafe in Havanna Vieja, der Altstadt der kubanischen Hauptstadt. Das Bier hier kostet einen US-Dollar. Für die meisten Kubaner ein unleistbares Vergnügen. Selbst Toni, der beim Radio rund doppelt so viel verdient wie der Durchschnittskubaner, könnte sich das Bier hier, geschweige denn ein Abendessen, nicht leisten. Würde er sein Peso-Monatsgehalt zum staatlichen Umtauschkurs eintauschen, erhielte er etwa zwölf Dollar. Damit könnte er vielleicht Kosmetika kaufen, oder Medikamente, Lebensmittel, die, wenn überhaupt, nur mehr in Dollargeschäften zu bekommen sind. Es herrscht Mangel an allem.

Eine Folge auch des jahrzehntelangen Embargos der USA gegen Kuba, dessen Aufhebung auch Papst Johannes Paul II bei seinem Besuch im Land dringend gefordert hat. Doch daß die USA in nächster Zeit diesem Appell nachgeben werden, erscheint unwahrscheinlich. Mit der Zulassung von Direktflügen zwischen den USA und Kuba für humanitäre Hilfsgüter, Lockerungen bezüglich der Lieferung von Medikamenten, und dem Zugeständnis an Exilkubaner, jährlich wieder 1.200 Dollar direkt an ihre Verwandten auf die Insel überweisen zu dürfen, zeigte sich erst vor kurzem immerhin ein winziger Lichtblick.

Freilich mit der Klarstellung aus Amerika, daß dies keineswegs als Änderung der amerikanischen Embargopolitik interpretiert werden dürfe. Kein Wunder, daß jeder im Land, der nicht das Glück hat, Verwandte im Exil zu haben oder in der Tourismusbranche - in der Dollar-Trinkgelder abfallen - zu arbeiten, irgendwie versucht, an Dollar heranzukommen. Um Seife kaufen zu können, oder Speiseöl oder auch die überaus begehrten Turnschuhe Marke Reebok oder Adidas. Die Bandbreite, wie die Menschen in Kuba um Dollar kämpfen, ist groß und reicht von legalen Dienstleistungen oder Geschäften wie privaten Taxi- oder Rikschafahrten, kleinen Restaurants, die im Wohnzimmer einer Familie entstehen, der Vermietung einzelner Zimmer an Touristen, bis hin zum Betteln, zu Taschendiebstahl und der Prostitution. "Die Mädchen verkaufen sich für ein Bier und eine Wurstsemmel", erklärt Toni und fügt hinzu: "ich schäme mich dafür, daß sie das tun müssen." Toni war in seiner Jugend Ministrant. Damals sei er jeden Tag zur Kirche gegangen, erzählt er. Heute ist sein Verhältnis zur Kirche nicht mehr so intensiv, doch gerade vor einigen Tagen seien er und Esther bei einer wunderbaren Messe gewesen, sagt er und nimmt die Hand seiner schwarzen Freundin.

Am wunderbaren Jugendstiltor des Hauses vis a vis klebt ein Poster, das Papst Johannes Paul II vor zart-hellblauem Hintergrund zeigt. Ein Poster, auf das wir im Land noch hunderte Male stoßen. Es steht symbolisch für die religöse Gesinnung der Menschen, die hinter diesen Türen leben, symbolisch für deren Freude über den Besuch von Johannes Paul in einem Land, das seine internationale Isolierung zu durchbrechen sucht. Nirgendwo sonst auf der Welt sei Johannes Paul so herzlich empfangen worden wie auf ihrer Insel, ist sich die schwarze Sängerin Carmen sicher. "Auch ich habe auf meiner Wohnungstüre das Poster vom Papstbesuch", sagt Carmen und erinnert sich mit leuchtenden Augen an die Messe, die einfach hinreißend gewesen sei. "Er ist ein Heiliger! Er hat so viel bewirkt, nach seinem Besuch sind einige Hunderte Gefangene aus kubanischen Gefängnissen entlassen worden", schwärmt Carmen. Tatsächlich wurden ja drei Wochen nach dem Papstbesuch im Jänner 300 politische Häftlinge freigelassen, wobei die kubanische Regierung ausdrücklich darauf hinwies, daß Johannes Paul in Kuba um diesen Schritt gebeten hatte.

Papstbesuch als Show?

"Der Papstbesuch diente lediglich der Unterhaltung der Menschen hier," sagt Toni im Cafe skeptisch. Für die Messen in Santiago und in Santa Clara seien eigens Autobusse abgestellt worden, um die Menschen aus den Dörfern in die Städte zu bringen. Der Jubel darüber sei leicht auszumalen - in einem Land, in dem aufgrund des Embargos Benzin und Ersatzteile fehlen, Fortbewegung und Transport einen täglichen Kampf um einen Platz in einem der überfüllten Busse, stundenlanges Warten auf der Autobahn um eine Mitfahrgelegenheit auf einem offenen LKW, in den meisten Fällen aber das Zurücklegen der Strecke mit Fahrrad, Pferdewagen oder zu Fuß bedeuten. Tausende seien aus den Dörfern in den Gratisbussen nach Santa Clara gefahren, bestätigt ein alter Mann aus dem Dorf Yaguajay, den wir in der Nähe von Sancti Spiritus im Auto mitnehmen. Als gläubiger Katholik wäre er zu gerne dabei gewesen. Aber wegen seines schlechten Beines habe er den Papstbesuch nur im Fernsehen mitverfolgen können.

"Ich rauche nicht, ich trinke nicht, ich spiele nicht! Aber die Frauen ...!" sagt Esteban in San Juan Bautista mit einem verschmitzten Lächeln und blickt zur Jungfrau empor. Einer Jungfrau, deren Bauch deutlich gewölbt ist. Im kleinen Ort Los Remedios in der Provinz Sancti Spiritus, wo die meisten Touristenbusse vorbeifahren, gibt es nicht nur die Attraktion einer schwangeren Jungfrau. Auf dem Hauptplatz, der Plaza Marti, stehen auch gleich zwei Kirchen. Wie es dazu kam, ist eine lange Geschichte.

Fast so lang wie die märchenhafte Geschichte von dem reichen Zuckerbaron, der am 24. Oktober des Jahres 1943 auftauchte und, wahrscheinlich wegen der Virgen de los Dolores, der schmerzensreichen Jungfrau, die ihn an seine Mutter Dolores erinnerte, San Juan Bautista vollständig restaurieren ließ, sodaß die Kirche heute wieder dasteht, wie im 18. Jahrhundert. Von außen schlicht, im inneren jedoch ein einzigartiges Barockjuwel mit prachtvoll geschnitzter Decke aus Ebenholz und einem vergoldeten Altar mit Figuren und Elementen, die der Millionär eigens aus Spanien und Mexiko herbeibringen ließ ...

Bei der Geschichte der zwei Kirchen von Los Remedios geht es um Fischer aus dem Ort, die um 1600 eine Kiste aus dem Meer fischten, in der eine Jungfrau mit Kind war. Sie stellten sie schließlich in der damals noch einzigen Kirche im Ort auf. Dort aber wollte sie offenbar nicht bleiben. Jeden Morgen fand sie sich wieder in der Hütte eines armen, invaliden Schwarzen. Bis die Gemeinde verstanden hatte, daß die Jungfrau eine eigene Kirche wollte und ihr endlich eine eigene baute. Die Iglesia del Buen Viaje, die Kirche der Jungfrau zur guten Reise, für die Esteban seit 1939 sorgt. Und sorgen, das heißt für Esteban nicht nur den Schlüssel verwalten, die Altartücher und die Blumen wechseln, sorgen bedeutet auch Geld auftreiben für den Strom und die Erhaltung. "Schon allein wegen ihr würde ich Kuba nie verlassen,", sagt Esteban und blickt zur Virgen über dem Altar auf. Und dann wird er ganz sentimental und erinnert sich an das Jahr 1961. Genau gesagt, an den 15. September, zwei Jahre nach der kubanischen Revolution. An diesem Tag kamen die Revolutionäre nach Los Remedios, um die Priester zu registrieren.

Als Esteban dies hörte, stürmte er zu seiner Kirche, um gerade noch mitzuerleben, daß die Milizionäre die beiden Franziskanerpater abführten. Die saßen bereits im Auto, als sie zueinander sagten, daß sie vergessen hatten, sich um das Allerheiligste zu kümmern. Esteban hörte das, und es gelang ihm, noch einmal in die Kirche hineinzugehen. Er zögerte nicht lange, nahm den Kelch mit den geweihten Hostien aus dem Tabernakel. Stand vor der schwierigen Situation, die Hostien vor der Entweihung durch die Kommunisten zu retten. Und es fiel ihm nichts anderes ein, als diese selbst an Ort und Stelle zu essen. "Es werden wohl zwei Dutzend gewesen sein", sagt er. Körperlich und spirituell gesättigt war sein Schrecken umso größer, als er im Tabernakel einen zweiten Kelch vorfand, der randvoll mit geweihten Hostien angefüllt war. Satt wie er war, mußte er sich jetzt etwas anderes einfallen lassen. Rasch entschlossen wickelte er sie in ein Tuch und steckte sie in seine Hemdtasche. Beim Verlassen der Kirche fragte ihn der Polizeichef, was er denn da in seiner Tasche habe? Im materiellen Sinn nur Wasser und Mehl, habe er damals geantwort.

Allerheiligstes gerettet Nach langem Hin und Her ließen ihn die Milizionäre gehen. In seinem Haus angelangt, versammelte Esteban seine ganze Familie, ließ sie die Beichte ablegen, und verteilte Hostien an alle. Es reichte für drei Mal, doch immer noch war das Tuch nicht leer. In derselben Nacht besuchte Esteban mehrere Häuser seiner Umgebung, in denen er Gläubige wußte. Überall verteilte er die Hostien. Später bekam er arge Gewissensbisse, ob er auch richtig gehandelt habe, fuhr schließlich deswegen zum Bischof. Doch der tadelte nicht, sondern lobte die heldenhafte Tat zur Rettung des Allerheiligsten in den höchsten Tönen.

Noch heute kommen Esteban die Tränen, wenn er die Geschichte erzählt. "Wissen Sie, ich war einer unter 50 Auserwählten, die bei der Papstmesse in Santa Clara die Heilige Kommunion aus den Händen des Papstes erhalten durfte. Das war für mich eines der ergreifendsten Erlebnisse meines Lebens. Später konnte ich meine eigenen Tränen sehen, die ich bei dieser Begegnung geweint habe, als mir mein Bruder, er ist Exilkubaner, aus den USA ein Video mit einer Aufnahme der Papstmesse geschickt hat. Aber ganz ehrlich, das Erlebnis des 15. September 1961 war für mich noch überwältigender als selbst diese wunderbare Begegnung mit dem Papst!"

Auf dem Altar unter der Virgen del Buen Viage stehen zwei Fahnen - jene Kubas und jene des Vatikan. "Die kubanische, weil wir Kubaner sind, und die vatikanische, weil wir Katholiken sind", sagt Esteban und lächelt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung