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Geburtstagsbrief Professor Karl Rahners

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an seinen Bruder, P. Hugo Rahner zum 65. Geburtstag.

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an seinen Bruder, P. Hugo Rahner zum 65. Geburtstag.

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Lieber Bruder Hugo!

Du hast mir zu meinem 60. Geburtstag in der Festschrift zu diesem Anlaß ein so großartiges Eucharisticon fraternitatis geschrieben — wie viele Menschen haben es andächtig gelesen —, daß ich mich „moralisch“ verpflichtet fühle, Dir zu Deinem 65. Geburtstag am 3. Mai dieses Jahres meine herzlichen Wünsche so zu sagen, daß sie auch für andere vernehmlich werden. Natürlich werden in einem solchen gedruckten Glückwunschbrief die eigentlichen Worte zu diesem Tag nicht stehen: diejenigen, die gesagt werden in die Einsamkeit Deiner Krankheit hinein, diejenigen, die Du selbst mir geschrieben hast: „was uns jetzt noch übrigbleibt, ist das Verlassen der Welt und das Finden Gottes in der neuen Erde.“

Aber ich meine, es seien ein paar andere Worte durchaus am Platz und sie müßten nicht notwendig verdächtig sein, weil der Bruder sie dem Bruder sagt. Ich sage es Dir, weil es gut ist, wenn Du weißt, daß Du in Deiner Einsamkeit von Deinen Lesern nicht vergessen bist, und so den Mut findest, weiterzumachen. Du hast ja noch Pläne, die der Mühe wert sind, realisiert zu werden. Was ich sage, sind einfach ein paar Worte zu Deinen Büchern aus den letzten Jahren. Eigentlich sollte ich schon mit früheren Jahren anfangen. Denn wenn heute im 2. Vatikanum die Kirche ihre Mariologie innerhalb ihrer Ekklesiologie vorträgt, dann ist Dein kleines Buch „Maria und die Kirche“ mit seiner ersten Auflage 1951 (wer hat außer Dir dieses Thema damals schon so ausdrücklich behandelt?) immer noch lesenswert. Und wenn im selben Lehrdekret eigentlich zum erstenmal in der kirchenamtlichen Lehre auch die Orts- und Pfarrgemeinde als Kirche erscheint (und nicht nur als Verwaltungssprengel), dann ist das von Dir herausgegebene Büchlein (1956) über die Pfarre in seiner Grundtendenz noch immer höchst modern. Aber lassen wir diese älteren Themen Deiner theologischen Arbeit. Von zwei Themen aber muß ich sprechen: von Deinen Studien über Ignatius von Loyola und Deinem neuen Buch über die Ekklesiologie der Kirchenväter.

Wenn wir einmal und mit Recht von der eher spekulativen, als historisch unterbauten Theologie der Exerzitien bei Erich Przywara absehen, dann bist Du der erste, der die theologische und nicht nur hagiographische Bedeutung unseres Vaters Ignatius in der Kirchen- und Geistesgeschichte wirklich erkannt hat. Es ist ein seltsames, ja eigentlich erschreckendes Phänomen, daß die barocke Jesuitentheologie von der Theologie, die in Werk und Lehre des Ordensvaters verborgen lag, fast nichts zeigt. Dafür ist schon das Fehlen des skotistischen Einschlags in ihrer Christologie, der bei Ignatius sehr deutlich ist (natürlich aus der Christusmystik, nicht so sehr aus geschichtlichen Zusammenhängen heraus), und die seltsame Angst vor einer Theologie der Erfahrung der übernatürlichen Gnade, für die Ignatius als erster eine Art Erkenntnismetaphysik schreibt: ganz von der Erfahrung her und ohne unmittelbare wissenschaftliche Absicht, schon ein genügender Beweis. Du hast nicht nur über des Ignatius Briefwechsel mit Frauen geschrieben (auch das ist heute ein sehr aktuelles Thema, da ein männer-rechtlich-paternalistischer Lebensstil in der Kirche im Abbau ist). Du hast über Ignatius, den Menschen und Theologen, geschrieben. Das gibt es sonst noch nicht. Und nach Dir könnte sonst nur noch G. Fessard genannt werden, aber auch dieser eher ein systematischer Theologe. Ich kann hier nun nicht auseinandersetzen, was das bedeutet. Aber ist damit gesagt, daß unser Vater nicht nur ein sehr frommer Mann war (was eben zu einem jeden Heiligen gehört), sondern mit ihm eine neue Theologie anfängt, gelebt zu werden, die in theologischer Reflexion einzuholen, eine noch nicht bewältigte Aufgabe ist, eine Aufgabe, deren Gelingen sehr wesentlich das Schicksal der katholischen Theologie der Zukunft mitentscheiden wird.

Und dann Deine Ekklesiologie der Kirchenväter. Daß Du der Theologie von heute in dieser Hinsicht etwas zu sagen hast, das bezeugt ja schon die von H. Vorgrimler herausgegebene Festschrift „Sentire Ecclesiam“ zu Deinem 60. Geburtstag (hat es sonst schon einmal eine Festschrift gegeben, die es zu einer Übersetzung in fremde Sprachen gebracht hat, und sogar ins Italienische, wie Deine?). Ich denke hier auch nicht so sehr an Deine Rede auf dem Kölner Katholikentag: „Die Kirche, Gottes Kraft in menschlicher Schwäche“ (1957), von dessen Theologie der Kirche der Sünder man gern ein deutlicheres Echo im Kirchendekret des 2. Vatikanums vernehmen würde, wenn es auch nicht ganz fehlt. Ich meine Dein neues Buch: „Symbole der Kirche. Die Ekklesiologie der Kirchenväter.“ Katholische Arbeiten zur patristi-schen Theologie sind oft so steril: man erfährt, daß schon die Väter sagten, was heute in den Schulbüchern steht, oder wie es langsam geworden ist, was wir heute wissen; ein Impuls für die Zukunft der Theologie geht selten von ihnen aus. In Deinem Buch ist es anders. Hier zeugt die liebevolle, alle Einzelheiten sorgfältig aufsammelnde Vertiefung in die Lehre der Väter und in deren geistige Umwelt wirklich Geist und Leben für die Theologie, die wir heute brauchen. Indem man den Fluß aufwärts zu den Quellen geht, wird er tiefer und fließt einer Zukunft entgegen.

Ich darf den Brief nicht mehr länger machen. Ich habe die Mahnung für Dich und mich, die Du in Deinem Eucharisticon fraternitatis aussprachst, nicht vergessen. Aber ich denke: die Schatten des Abends, die uns das ewige Licht ankünden, sind doch noch nicht (fast möchte ich sagen: leider) die Nacht, in der niemand mehr wirken kann, sondern gehören noch zum Tag, an dem wir unverdrossen, wenn auch mühselig, weiterwirken sollen. Du hast noch einiges vor. Laß nicht ab. Mach weiter. Gott helfe Dir dazu.

Alle herzlichen brüderlichen Wünsche zu Deinem 65. Geburtstag sagt Dir
Dein Bruder Karl.

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